Text: Thomas Masuch, 18.12.2024
Auf der Formnext 2024 gab es eine solche Fülle an Innovationen und Anwendungen zu sehen, dass auch zwei Artikel nicht ausreichen, um alle Facetten abzudecken. Im ersten Teil haben wir einige aktuelle Trends herausgearbeitet, die auch im Zusammenhang mit der Entwicklung der Branche in den letzten Jahren stehen – der zweite Teil unseres Rückblicks beschäftigt sich damit, in welchen Bereichen neue Anwendungen entstehen, vor welchen Herausforderungen die Hersteller von AM-System stehen und wieso der Markt kontinuierlich wächst, obwohl einige größere Unternehmen einen Rückgang oder eine Stagnation beim Umsatz beklagen.
Takeaway 5: „Ernstzunehmende Nischen“ – Breite der Anwendungen wächst weiter
Ein Rundgang über die Formnext lieferte auch eine recht klare Antwort darauf, warum die AM-Branche kontinuierlich weiter wächst, obwohl so manches große Unternehmen in jüngster Vergangenheit Umsatzeinbußen vermeldete: Über alle vier Messehallen verteilt – auch an vielen kleineren Messeständen – waren spannende Use-Cases aus immer mehr Anwendungsgebieten jenseits von Medical und Aerospace zu sehen – zum Beispiel aus der Elektronik, dem Energiesektor (wie 3D-gedruckte Pipelines) oder dem Bereich Schuhe und Bekleidung (wie zum Beispiel bei Carbon, Stratasys und anderen). Anwendungsbereiche, die bisher teilweise einen eher experimentellen Charakter hatten, liefern nun konkrete Business-Stories. Auch wenn dies nicht gleich die Dynamik der gesamten Branche ändert, so sieht Andreas Langfeld, President EMEA & APAC Stratasys, zum Beispiel im Fashionbereich inzwischen eine „ernstzunehmende Nische“, wie er im Gespräch mit dem Formnext Magazin erklärte (ausführlicher Bericht folgt).
Gleiches gilt für den Bereich Bauwesen und Architektur: Innovationen für künftige Anwendungen zeigte die BeAM-Sonderschau (u.a. mit Strukturbauteilen, Möbeln oder nachhaltig gedruckten Elementen). Konkrete Anwendungen und Geschäftsmöglichkeiten waren auch auf den Ständen mancher Aussteller zu finden, wie 3D-gedruckte Büsten oder Kunstwerke aus Steinstaub (Concr3de) oder animierte Modelle für die Stadt- und Verkehrsplanung (Team Kubitur auf dem Stand von IGO3D).
Für immer mehr Anwendungen sorgt auch der 3D-Druck von Keramik, was auch im Rahmen der recht prominenten Auftritte von 3DCeram, Bosch Advanced Ceramics, D3, Lithoz und anderen sichtbar wurde. Auch bisher weniger in Erscheinung getretene Anwenderindustrien entdecken das vielfältige Potential des 3D-Drucks von Keramik: zum Beispiel die Halbleiterherstellung, die Klebstoffindustrie oder der Bereich Rohstoffe (Lithoz zeigte ein Filtersystem zur Lithiumgewinnung). Solche Beispiele unterstreichen die Zukunftsaussichten von AM: Wenn einmal neue Technologien auf dem Markt sind und eine gewisse Reife erlangt haben, sorgt das Streben der menschlichen Kreativität fast schon allein dafür, dass immer neue Anwendungen entstehen – und am Ende auch der Markt wächst.
Takeaway 6: Höhere Produktivität, niedrigere Kosten
Die Forderung nach geringeren Produktionskosten ist so alt wie die Additive Fertigung selbst, und natürlich ging es auch auf der Formnext 2024 darum, 3D-gedruckte Bauteile günstiger herzustellen. In allen Messehallen und entlang der gesamten Prozesskette gab es dazu Verbesserungen, die auf sehr verschiedenen Ansätzen beruhten (wir berichteten bereits in der Fon-Messeausgabe): Hersteller von großen PBF-Anlagen präsentierten effizientere Maschinen oder verbesserte Belichtungsstrategien, dazu gab es zahlreiche Innovationen im Bereich Materialien und Postprocessing. Ein wichtiger Treiber waren auch verbesserte Softwarelösungen die zum Beispiel den Designprozess beschleunigen oder den Ausschuss verringern (was letztendlich auch viel Geld sparen kann – und insbesondere bei großen und kostspieligen Bauteilen mittlerweile fast unverzichtbar ist).
Als echter Produktivitätstreiber sind inzwischen preiswerte Desktop-Drucker in der Industrie angekommen. Die Drucker von Prusa, Bambu Lab und Co. sind teilweise so günstig, dass sie in manchen Marktberichten gar nicht berücksichtigt werden. Aber mit passenden Materialien und dem entsprechenden Know-how lassen sich damit teilweise industrielle Ansprüche erfüllen. Das erhöht sicherlich den Druck auf etablierte Hersteller, sorgt aber auch dafür, dass die Eintrittsbarriere von AM in vielen Unternehmen sinkt und sich immer mehr Menschen mit AM beschäftigen.
Takeaway 7: Stärkere Konkurrenz aus Fernost
Beim Thema Kostensenkung muss man natürlich auch einen Blick auf die chinesischen Aussteller werfen. Und so war der Besuch bei BLT einer meiner interessantesten Standbesuche auf der Formnext: Nicht unbedingt, weil dort so spannende Exponate ausgestellt waren (die gab es bei anderen Unternehmen auch), sondern weil dort der neue selbstbewusste „chinesische Geist“ spürbar war: BLT hat sich inzwischen zu einem der größten AM Unternehmen weltweit entwickelt, trat mit dem Slogan „Your road to serial production“ auf, und zeigte echte AM-Massenfertigung: u.a. eine Düse für einen Dampfkochtopf, die laut BLT im 3D-Druck 1,60 USD kostet (anstatt 2,50 USD im traditionellen MiM Verfahren). „Wir stellen davon 1,5 Millionen Stück pro Jahr her“, berichtete stolz Gary Ding, Managing Director BLT Europe GmbH.
Die selbstbewusste Konkurrenz aus China hat im AM-Markt inzwischen eine starke Position eingenommen. Aufgrund des sehr umkämpften Heimatmarkts in Fernost versuchen viele chinesische AM-Unternehmen, ihre Lösungen international anzubieten und haben dafür teilweise in Deutschland und anderen Ländern Niederlassungen für Sales und Service eröffnet. Auch westliche Anbieter spüren den Druck: Eine Führungskraft eines großen europäischen Herstellers von AM-Systemen räumte auf dem Presserundgang auf der Formnext ein, dass man auf dem chinesischen Markt kaum noch etwas verkaufe weil man im Prinzip keine Chance gegen chinesische Anbieter hat.
Die Bastion für westliche Hersteller sind wahrscheinlich kritische Anwendungen wie zum Beispiel die Wachstumsbranchen Aerospace und Verteidigung – hier ist laut Marktinsidern die Skepsis gegenüber dem Datenschutz und der Sicherheit von geistigem Eigentum am größten. Doch es gibt inzwischen auch Ausnahmen: So präsentierte BLT auf der Formnext eine O-Ring-Dichtung, die aus einer speziell entwickelten Legierung auf BLT S-400 Anlagen hergestellt und von Airbus im A320-Programm einsetzt wird.
Fazit:
Zunächst ist es für den gesamten Markt (und insbesondere für die Anwender) sicherlich begrüßenswert, wenn Technologie günstiger wird, weil das der schnellste Weg ist, neue Anwendungen möglich zu machen. Neben den chinesischen OEMs und dem chinesischen Markt (der viel unabhängiger von westlicher Technologie geworden ist) profitieren auch im Westen Anwender und Dienstleister bzw. Auftragsfertiger. Für die westlichen Anbieter von PBF-Anlagen wie Trumpf EOS, Renishaw, Colibirum u.a. wird der Wettbewerb teilweise härter.
Gleichzeitig zeigte sich in vielen Gesprächen, dass Anwender bei AM-Technologie aus China immer noch ein gewisses Misstrauen in Bezug auf Datensicherheit im Hinterkopf haben. Jüngste Plagiatsvorwürfe gegenüber eines chinesischen Softwareanbieters haben diese Bedenken sicherlich nicht kleiner werden lassen.
Entscheidend wird in den nächsten Jahren sein, dass es die westlichen Anbieter schaffen, ihre starke Wettbewerbsposition zu verteidigen, indem sie weiterhin innovativ führend bleiben und ihre höheren Maschinepreise mit einem echten Mehrwert verbinden. Europa und die USA brauchen starke innovative Anbieter von AM-Systemen, Materialien und Software. Denn auch wenn AM gesamtwirtschaftlich (noch) nicht die große Rolle spielt, so ist die Technologie enorm wichtig, um Innovationen in vielen Anwenderindustrien voranzutreiben.
MEHR INFOS UNTER:
Takeaway 1: Robustheit der Branche
Takeaway 2: Bedeutung der Formnext für die AM-Welt
Takeaway 3: Positives Mindset in herausfordernden Zeiten
Takeaway 4: Bedeutung der Anwenderbranchen verschiebt sich
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- Marktberichte und Studien