Text: Ankush Venkatesh, Glidewell Dental, 06.12.2024
Die dezentrale Additive Fertigung bietet einzigartigen Perspektive für die Medizin- und Dentalindustrie
Bei der Diskussion über die Vorteile der Additiven Fertigung (AM) wird oft die dezentrale Fertigung in den Ring geworfen – sie gilt dann als Allheilmittel für die Sicherheit der Lieferkette, die On-Demand-Verfügbarkeit von Ersatzteilen oder für viele andere wunderbare Dinge. Solche Behauptungen übersehen leider, wie viel Aufwand und Sorgfalt erforderlich sind, um einen „normalen“ zentralen Fertigungsbetrieb zuverlässig aufzubauen – ganz zu schweigen vom Aufwand für die Dezentralisierung eines Teils davon.
Die eindeutigen Ausnahmen von dieser kritischen Einschätzung sind die Medizin- und Dentalindustrie. Das erscheint auf den ersten Blick überraschend aufgrund der regulierten Natur dieser Branchen und ihrer anspruchsvollen Anwendungen. Aber die Vorteile sind zahlreich und vielschichtig und reichen von der Patientenaufklärung über die Mitarbeiterkommunikation bis hin zu Schulungen, verbesserten Behandlungsergebnissen, effizienteren Operationen und vielem mehr.
Mehr Effizienz durch AM-Modelle
Es wird sicherlich noch einige Jahre dauern, bis der 3D-Druck von Organen, die direkt in Patienten eingesetzt werden, in die Krankenhäuser Einzug hält. Doch es gibt große Fortschritte bei der Einführung digitaler Bildgebungs- und Fertigungstechnologien am oder nahe des Point-of-Care. Nach Angaben des belgischen Software-Riesen Materialise (NASDAQ: MTLS) verfügten bereits 2019 mehr als 110 Krankenhäuser in Nordamerika über 3D-Druckanlagen, die die Software-Suite Mimics nutzen, mit der sich Teile visualisieren, entwerfen und drucken lassen. Wie groß die Vorteile sind, um zum Beispiel die chirurgische Planung zu verbessern, zeigte sich in einer Studie, die 2023 veröffentlicht wurde: 50 Chirurgen erhielten einige Tage vor einer Operation ein passendes 3D-gedrucktes anatomisches Modell, das auf einem Stratasys J750 Polyjet hergestellt wurde. Gleichzeitig sollten die Chirurgen dessen Nutzen bewerten. Das Ergebnis: 94 % sahen in dem 3D-gedruckten Modell ein wertvolles Hilfsmittel, 78 Prozent gaben an, dass damit die Effizienz des chirurgischen Eingriffs gestiegen ist. Eine solche Zusammenarbeit zwischen AM-Herstellern und der Gesundheitsindustrie ist in den vergangenen Jahren immer häufiger anzutreffen – beispielhaft sind Unternehmen wie Formlabs oder Mimaki.
Schnellere Behandlungen beim Zahnarzt
Die Dentalindustrie ist wohl der Vorreiter bei der Einführung des 3D-Drucks am Behandlungsort, der oft als „Chairside Printing“ bezeichnet wird. Damit verkürzt sich die Zeit, die der Patient in der Klinik oder Praxis verbringt, wodurch Zahnarzt und Patient Geld sparen können. Außerdem lässt sich auch Anzahl der Besuche, die ein Patient machen muss, verringern. Dabei können viele Zahnärzte Einschätzung die Vorteile der Additive Fertigung recht gut einschätzen: Laut einer Umfrage der American Dental Association (ADA) aus dem Jahr 2023 nannten 68 Prozent der Zahnärzte, die AM einsetzen, eine verbesserte Effizienz; 44 Prozent freuten sich über geringere Kosten.
In Bezug auf die häufigste Anwendung nannten 62 % der Zahnärzte Diagnosemodelle, gefolgt von Aufbissschienen und Okklusionsapparaten (z. B. Nachtsicherungen, um das Zähneknirschen zu lindern) (50 Prozent) und provisorischen Kronen und Brücken (36 Prozent). Bei diesen beiden Kategorien handelt es sich um „Endprodukte“, die tatsächlich im Mund des Patienten eingesetzt werden. Insgesamt gaben rund die Hälfte der Zahnärzte, die AM nutzen, an, dass sie jeden Monat mehr als 25 Prozent der benötigten Produkte 3D-drucken.
Dennoch gibt es noch viel zu tun. Nur 17 % der befragten Zahnärzte hatten einen 3D-Drucker in ihrer Praxis. Aber diese frühen Anwender haben die Vorteile einer dezentralen Additiven Fertigung aufgezeigt: Sie ist sinnvoll sowohl für Ärzte als auch für Patienten. Das spricht sich auch in der Dental-Branche herum, so dass 35 Prozent der Zahnärzte ohne Drucker erwägen, sich im Bereich 3D-Druck weiterzubilden. Dieser Trend wird sicherlich durch die junge und technikaffine Generation der angehenden Zahnärzte noch verstärkt.
Oft, aber nicht immer, werden bei der Additiven Fertigung gleich neben dem Behandlungsstuhl Materialien verwendet, die mit denen vergleichbar sind, die in zahntechnischen Labors verwendet werden. Weitere Fortschritte bei den Werkstoffen und ein breiteres Portfolio an zertifizierten und bewährten Materialien werden dazu führen, dass deutlich mehr Teile in der Zahnarztpraxis hergestellt und eingesetzt werden können.
Der Zugang zu digitalen Bildgebungsinstrumenten wie intraoralen Scannern in Kombination mit digitalen Herstellungswerkzeugen wird die Einführung von AM in der Welt der Zahnmedizin weiter vorantreiben.
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- Dentaltechnik