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Architektur und Bauindustrie

"Mehr Stroh untermischen"

Text: Thomas Masuch — 08.02.2021

Die Zementindustrie ist weltweit einer der größten Verursacher von CO2-Belastungen. Mit dem 3D-Druck wird deshalb die Hoffnung verbunden, materialschonender und nachhaltiger zu bauen. Noch größeres nachhaltiges Potenzial liegt in alternativen Baumaterialien: Der MIT-Forscher Sandy Curth und ein Team der University of California, Berkeley haben sich an den alten Baustoff Lehm gewagt und in der Steppe von Colorado bereits die ersten Testgebäude 3D-gedruckt. Doch die Herausforderungen sind groß.

"Mehr Stroh untermischen"

Die örtlichen Farmer schmunzelten zwar über die unbekannte Bautechnologie, denn allein mit der Bedienung waren so viele Personen beschäftigt, wie man sonst auf der gesamten Baustelle dieser Größe hatte. Doch sie gaben auch gut gemeinte Ratschläge: "Ihr müsst mehr Stroh untermischen", meinte einer. "Wie wollt ihr das isolieren oder da ein Dach drauf setzen?", fragte einer anderer. Sandy Curth, der mit seinen Forscherkollegen Logman Arja, Ronald Rael und Virginia San Fratello in der Nähe von Antonito, Colorado die ersten Prototypen aus Lehm in die Steppe 3D-druckte, freute sich über die Reaktion der Leute mit viel handwerklicher Erfahrung. Denn schließlich setzten sie sich mit dieser neuen Technologie auseinander und sahen darin nicht etwas Überflüssiges oder gar eine Bedrohung. "Das zeigt, dass sich die Technologie in die richtige Richtung entwickelt. Die Leute fangen an, solche Maschinen als zuverlässig anzusehen."

"Nachhaltigkeit bedeutet, so wenig Material wie nötig einzusetzen."

Dabei ist die Technologie des MIT/UC-Berkeley- Forscherteams bewusst möglichst schlicht gehalten: Das Baumaterial (eine Mischung aus Lehm, Sand, Stroh und Wasser) wird durch einen Schlauch gepumpt und mittels Roboterarm an die gewünschte Stelle platziert. So legt sich eine Wurst aus Lehm über die nächste und es entstehen die wabenförmigen Wände der runden Gebäude, die wie eine Mischung aus Bienenstock und Indianerzelt anmuten. Sandy Curth, den vor allem die Idee der Nachhaltigkeit antreibt, setzt dabei Ressourcen beim Material wie auch bei der Technik möglichst schonend ein. "Nachhaltigkeit bedeutet, so wenig Material wie nötig einzusetzen und mit einer möglichst reduzierten technischen Ausrüstung vor Ort etwas Großes, Komplexes und Funktionelles herzustellen."

Wie leistungsfähig Lehm in der Architektur ist, zeigt sich nicht nur auf der Arabischen Halbinsel im Wadi Hadramaut, das wegen seiner neunstöckigen Gebäude auch als Chicago der Wüste bekannt ist. Auch in Deutschland hat ein sechsgeschossiges Lehmhaus im hessischen Weilburg seit 1836 zahllosen langen, kalten und feuchten Wintern standgehalten. In den vergangenen Jahren hat das wachsende Streben nach Nachhaltigkeit der Verwendung von Lehm in der Bauindustrie in Europa, den USA und China neuen Schwung verliehen. So kam zum Beispiel bei der 2019 eingeweihten Zentrale des Bio-Lebensmittel- Unternehmens Alnatura Lehm in großem Maße zum Einsatz. Wände aus Stampflehm liegen im Trend – vor allem dort, wo sie keine tragende Rolle spielen. Die Vorteile dieses seit Jahrhunderten verwendeten Baustoffs gegenüber Zement sind enorm: Das Material ist schadstofffrei, in der Herstellung klimaneutral, es sorgt für ein gesünderes Raumklima und beeindruckt auch optisch durch seine natürliche Struktur. Für die USA sieht Sandy Curth im Lehm sogar einen "extrem stark wachsenden Markt".

KEIN LABOR

Doch die Verarbeitung mittels 3D-Druck stellt hohe Hürden auf: Im Gegensatz zum industriellen 3D-Druck von Metall, bei dem der Prozess in einer möglichst klinisch-konstanten Umgebung abläuft, lassen sich beim 3D-Druck von Lehm viele Variablen kaum vorherbestimmen. Das beginnt beim Material, das vor Ort verfügbar sein sollte, um lange Transportwege zu vermeiden. Neben diesen regionalen Besonderheiten spielt auch die natürliche Umgebung inklusive Sonne und Wind eine große Rolle – schließlich muss der Lehm trocknen, bevor er weitere Schichten tragen kann. "Und wir drucken ja ein einer Umgebung in 3D, die einer echten Baustelle ähnelt: Wir sind draußen, das Wetter wechselt und die Ausrüstung wird ziemlich in Anspruch genommen. Das ist eben kein Labor."

Ein weiterer ungewöhnlicher Faktor ist die Zeit: Während es sehr schnell aushärtenden Beton gibt, erfordert der 3D-Druck von Lehm Geduld. "Beton hat eine genau definierte Zeit, die er zum Aushärten braucht. Beim Lehm dagegen müssen wir das Trocknen berechnen", so Curth. So konnte immer nur zwei bis drei Stunden am Stück gedruckt werden. Dann begann das Warten. Oder der Umzug: Während ein Objekt trocknete, zogen die MIT-Forscher mit ihrem Lehm-3D-Drucker zum nächsten "Gebäude" und machten dort weiter. "Wir druckten an drei bis vier Stellen gleichzeitig und erzielten so nach und nach einen kontinuierlichen Workflow auf der Baustelle."

Aufgrund der vielen nicht vorhersagbaren Einflüsse scheint eine professionelle Anwendung, die ja auch eine Zertifizierung einschließt, auf den ersten Blick ein Ding der Unmöglichkeit. Doch Sandy Curth ist da zuversichtlich: Um die zahlreichen Variablen unter Kontrolle zu bringen, entwickelt er eine Software, die zum Beispiel anhand der aktuellen Wetterlage und der speziellen Materialeigenschaften die passenden 3D-Druckparameter berechnet. Diese soll künftig nicht nur für Lehmkonstruktionen, sondern auch für Beton geeignet sein und dem 3D-Druck in der Branche einen zusätzlichen Schub geben. "Durch die Verbesserung der Software wird diese Technologie für vielfältige Anwendungen in der Bauindustrie nutzbar sein."

Bei der Entwicklung der Software arbeitet Curth mit verschiedenen Zement-Herstellern zusammen. Auch wenn das den nachhaltigen Ansatz etwas eintrübt, "können wir so vieles, was wir mit Lehm machen wollen, bereits validieren. Und außerdem sorgt auch bei Beton jede Materialeinsparung dafür, dass weniger CO2 ausgestoßen wird." Darüber hinaus hat Curth mit der Entwicklung seines Lehm-3D-Drucks noch ganz andere Anwendungen im Blick: "Der 3D-Druck von Lehmmaterialien und die entsprechenden Pläne und Methoden sind wohl die überzeugendste Blaupause für den 3D-Druck von Gebäuden im Weltraum."

MEHR INFOS UNTER:

architecture.mit.edu

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