07.09.2022
Bevor 3D-gedruckte Turbinenschaufeln, Komponenten für Gasturbinenmotoren, Spritzgussformeinsätze oder Kniegelenke zum Einsatz kommen werden, treten sie oft erst einmal eine Reise nach Saint-Priest bei Lyon an. Hier sorgt Binc Industries dafür, dass die Oberflächen so glatt werden wie von den Kunden gewünscht.
Die Unternehmensgruppe Binc Industries hat sich auf Postprocessing und Oberflächenbearbeitung spezialisiert. Die französische Tochter Binc Industries France SAS hat am Standort in Saint-Priest rund 20 Beschäftigte. Kern des Unternehmens ist der eigens entwickelte Micro Machining Process (MMP): Dabei kommen mit einem Katalysator verbundene „Mikrowerkzeuge“, die in einer Flüssigkeit schwimmen, zum Einsatz. Das Bauteil wird in der Maschine fest verankert, der Tank mit der Lösung und den Microwerkzeugen aufgefüllt. Energiereiche Bewegungen auf drei Achsen sorgen dann dafür, dass die Katalysatoren an der Oberfläche vorbeischrammen und nur die Rauhigkeitsspitzen in einer bestimmten Frequenz abreißen. „In der Regel haben 3D-gedruckte Bauteile eine Oberflächenrauheit von 15–30 Micron. Mit diesem Prozess lassen sich Oberflächengüten von 0,8 Micron und weniger erreichen, was einem Spiegel sehr nahekommt“, erklärt Christophe Jacobs, Commercial Director Europe bei Binc Industries. Zudem erreiche die Emulsion so gut wie jeden Winkel des Bauteils, auch einige innere Kanäle.
Oberflächen-Engineering für mehr Leistung
Das ausgefeilte Verfahren, das Binc Industries nur als Dienstleistung anbietet (Maschinen verkauft das Unternehmen nicht), ist laut Jacobs mehr als eine reine Oberflächenbearbeitung, nämlich „Oberflächen-Engineering, mit dem wir die Leistung der Bauteile verbessern“. Dieses Oberflächen-Engineering bedeutet: „Wenn unsere Kunden uns das Bauteil zur technischen Einschätzung schicken, analysieren wir zunächst das gesamte Rauheitsprofil, untersuchen die auf dem Teil vorhandenen Frequenzbereiche und entwickeln darauf aufbauend den passenden MMP – also unter anderem die Zusammensetzung der Mikrowerkzeuge, das Programm der Bewegung oder die Fixierung des Teils.“ Insgesamt verfügt Binc Industries über rund 650 Rezepturen.
Das MMP-Verfahren ist schon eine 20 Jahre alte Technologie, die ursprünglich in der Schweiz entwickelt wurde, um hochwertige Oberflächen von Uhren und Schmuck zu erzeugen und so das händische Polieren zu ersetzen. Vor 20 Jahren entstand daraus das Schweizer Unternehmen Binc Industries SA, das heute rund 125 Beschäftigte zählt und inzwischen Niederlassungen bzw. Tochtergesellschaften in Frankreich, Deutschland, den USA, Indien, China und Japan unterhält. Der Standort in Saint-Priest wurde übrigens deshalb gewählt, weil er recht nah am Heimatland Schweiz liegt, wie Jacobs erklärt, und trotzdem im zweitgrößten Wirtschaftsraum Frankreichs.
Vor 17 Jahren wurde die MMP-Technologie dann auch von der additiven Gemeinde entdeckt, und zwar durch das europäische RC2-Projekt: „Hersteller von AM-Anlagen kamen damals auf uns zu, weil sie die Oberflächen 3D-gedruckter Bauteile ‚veredeln‘ wollten, um zu zeigen, was mit Additiver Fertigung möglich ist und dass es dafür eine Servicekette gibt“, so Jacobs.
Aus dem Kokon des Prototypings befreit
Für das Unternehmen, das auch zu den ersten Ausstellern der Formnext zählte, hat sich die additive Fertigungsindustrie inzwischen zu einem wichtigen Geschäftsfeld entwickelt. Rund 15 Prozent des Umsatzes werden inzwischen mit 3D-gedruckten Bauteilen erzielt, so Jacobs. „Und dieser Sektor wächst mit Abstand am stärksten, vom Jahr 2021 auf 2022 um 100 Prozent. AM boomt regelrecht.“ Grund dafür sei, dass sich die additive Fertigung immer mehr aus dem Kokon des Prototypings befreie und bei immer mehr industriellen Anwendungen zum Einsatz komme.
Die Anwendungen, die ein Oberflächen-Engineering in Saint-Priest erfahren, reichen von Knie- und Hüftgelenken unterschiedlichster Materialien (Edelstahl, Keramik, Zirconium u. a.) bis hin zu Bauteilen für die Luft- und Raumfahrt, Energie-Gasturbinen, Stanz- und Kaltschmiedewerkzeuge, Hochleistungskomponenten für Getriebe oder die pharmazeutische Industrie.
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