Text: Thomas Masuch, 16.05.2024
Als vor einigen Wochen der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied, dass eine Norm zur Sicherheit von Spielzeug kostenlos öffentlich zugänglich gemacht werden muss, befürchteten manche Juristen bereits den Zusammenbruch des bestehenden Normungssystems. Schließlich finanziert sich das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) zu rund 60 Prozent aus dem Verkaufserlös solcher Normen.
In seiner Urteilsbegründung sagte der EuGH, dass die Veröffentlichung von Dokumenten bei einem „überwiegenden öffentlichen Interesse" nicht verweigert werden darf. Vereinfacht gesagt: Wenn Normen so etwas wie einen gesetzgebenden Charakter haben, sollten sie auch öffentlich einsehbar sein.
Inzwischen haben sich die Wogen etwas geglättet, doch „das Thema bleibt spannend“, erklärt Prof. Christian Seidel, der jahrelang als Chairman des ISO TC 216 die Entwicklung zahlreicher Normen in der AM-Branche begleitet hat. Um zu sehen, welche Auswirkungen das Urteil des EuGH auf die AM-Industrie hat, „muss man allerdings einmal etwas Zeit ins Land gehen lassen und abwarten, wie die praktische Umsetzung aussieht“.
Auf der Website des Beuth-Verlags, der zum DIN gehört und die Normen vermarktet, sind inzwischen mehr als 70 Normen zur Additiven Fertigung verfügbar, dazu rund 20 Normentwürfe und 40 sogenannte technische Regeln. Die Kosten der einzelnen Werke liegen zwischen 41,90 und 190,80 Euro. Während die Normen „einen normativen Charakter haben“ und für bestimmte Vorgänge und Prozesse verpflichtend sind, haben die „technischen Regeln eher einen informativen Charakter“, so Seidel, der für die Hochschule München, das Bayerische Promotionszentrum und als Strategic Implementation Consultant für Wohlers Associates tätig ist. Vom Urteil des EuGH sind demnach voraussichtlich nur die expliziten Normen betroffen.
Beschrieben werden dabei in Bezug auf Additive Fertigung verschiedenste Themen von der additiven Herstellung von Druckkörpern über die Konstruktion und die Fertigung von Testkörpern bis hin zu Prozessanforderungen und Qualifizierungen. Allerdings mahnt Seidel auch an, dass der „technische Tiefgang vieler Standards im AM-Bereich noch erhöht werden sollte“. Da die Additive Fertigung noch eine sehr junge Technologie ist, bestand ein hoher Druck und Bedarf, möglichst schnell möglichst viele Standards auf den Weg zu bringen, was „dem erreichbaren Tiefgang beim technischen Konsens nicht förderlich“ gewesen sei. Dass inzwischen eine Vielzahl von Standards für die Additive Fertigung verfügbar sind, begrüßt Seidel allerdings sehr: „Das hilft der gesamten Branche und allen Playern.“ Und nach fünf Jahren werden sämtliche Standard ohnehin überprüft.
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- Qualitätsmanagement und Messtechnik