Kolumne Schraeg gedacht / von Thomas Masuch — 03.03.2023
Nicht nur in der Welt der Additiven Fertigung, sondern in der gesamten Industrie zerbrechen sich Manager, Techniker und Geschäftsführer die Köpfe, wie sie ihre Unternehmen noch effizienter machen können. Im Idealfall lässt sich mit den bestehenden Anlagen noch mehr Output erzielen, und das bei gleicher oder besserer Qualität. Während in der jungen additiven Industrie solche Effizienzsprünge noch verhältnismäßig leicht zu erzielen sind, werden die Fortschritte in der Regel immer schwieriger, je länger eine Produktionsmethode im Einsatz ist.
Doch auch in solchen Fällen muss noch lange nicht das Amen in der Kirche der Produktivität gesprochen sein. Inspiration für alle Effizienzsteigerer könnte hier ein Ausflug zum nächsten Bauernhof bieten: Denn hier hat, um in der Sprache der Betriebswirtschaftslehre zu bleiben, in den vergangenen Jahrzehnten ein unvergleichlicher Produktivitätszuwachs stattgefunden – insbesondere in der Milchproduktion. Vereinfacht gesagt: Die Kühe geben immer mehr Milch.
Was einfach klingt, erstaunt doch sehr, wenn man sich die Zahlen anschaut: So hat eine Kuh in Deutschland im Jahr 1900 2.165 Kilogramm Milch pro Jahr gegeben. 2021 waren es 8.488 Kilogramm, also etwa viermal so viel. Dabei wird die Kuh schon seit rund 10.000 Jahren als Nutztier gehalten. In den Ställen, die oftmals immer größer werden, überwacht teilweise eine App die Gesundheit der Kühe und schickt individuell Granulatfutter in die Tröge. Manche Ställe sind inzwischen so weit industrialisiert, dass man sich fragt, ob die Kuh eher Tier oder Maschine ist.
Bioreaktor statt Euter
Trotzdem gehen einige Ernährungsexperten davon aus, dass die Tage der Milchkuh gezählt sind und sich auf dem über 800 Mrd. Euro schweren Milchmarkt ein Umbruch abzeichnet. Der US-amerikanische Think-Tank RethinkX prophezeit bereits, dass sich die Zahl der Rinder in den USA bis 2030 halbieren wird. Das neue Mantra bei der Herstellung von Milch lautet Präzisionsfermentierung. Dabei werden pflanzliche Materialien in einem Bioreaktor mithilfe von Gentechnologie und Hefebakterien in Milch verwandelt. Vorteilhaft ist, dass diese Methode den CO2-Ausstoß und den Wasserbedarf deutlich reduziert. Immerhin ist die Milchtierhaltung für rund 3 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Noch entscheidender für den Erfolg der Fermentierung könnte allerdings sein, dass die Milch aus dem Bioreaktor in Zukunft deutlich billiger sein soll als die Milch von der Kuh im Stall.
Frischkäse und Eiscreme aus solcher Produktion werden in den USA bereits im Supermarkt verkauft. Über den Geschmack ist uns allerdings nichts bekannt. Und ob sich die disruptiven Prognosen so mancher Ernährungstechnologien erfüllen, muss sich natürlich noch zeigen – wobei hier die Additive Fertigung vielleicht als guter Ratgeber dienen kann: Auf einen von zu großen Erwartungen getragenen Hype kann eine heftige Enttäuschung folgen. Aber langfristig lassen sich neue Technologien nicht aufhalten.
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