Interview: Martin Grolms, Fraunhofer ILT — 08.10.2024
Die AM-Welt ist agil wie kaum eine andere Branche. In schneller Regelmäßigkeit kommen immer wieder neue Technologien und Materialien auf den Markt, die immer neue Anwendungen möglich machen. Im Interview sprechen Dr. Stefan Leuders von Voestalpine und Dr. Tim Lantzsch vom Fraunhofer ILT darüber, wie sich die Technologie insbesondere im Metallbereich weiterentwickelt, welche Herausforderungen es gibt, und welche Unternehmen, von diesen Entwicklungen profitieren werden.
Was sind die aktuellen Trends in der Additiven Fertigung? Welche Entwicklungen sind aus Ihrer Sicht vielversprechend?
Lantzsch: Ein wichtiger Trend, den ich sehe, ist die zunehmende Anpassung von Werkstoffen und Applikationen an die spezifischen Anforderungen der additiven Fertigung. Viele der bisherigen Materialien waren ursprünglich nicht für additive Verfahren entwickelt. Außerdem sehen wir, dass die Technologie zwar teuer ist, aber durch gezielte Kostensenkungen und die Fokussierung auf Nischenanwendungen ihr Mehrwert klarer herausgestellt werden kann.
„Zu teuer“ hört man im Zusammenhang mit AM immer wieder. Mit welchen wirtschaftlichen Herausforderungen von AM beschäftigen Sie sich?
Lantzsch: Die wirtschaftlichen Herausforderungen liegen vor allem in den hohen Kosten für Anlagen und Materialien. Diese Kosten bestimmen maßgeblich die Bauteilpreise, und hier gibt es noch erheblichen Spielraum für Optimierungen. Besonders kritisch ist die Prozesssicherheit, die noch nicht in der Breite gegeben ist.
Leuders: Ein zentraler wirtschaftlicher Faktor ist nach wie vor der Anlagenstundensatz, das sehe ich genauso. Hinsichtlich der Anlagenkosten sehen wir allerdings zunehmend Bewegung, insbesondere getrieben durch den außereuropäischen Wettbewerb, wodurch gleichzeitig natürlich der Kostenanteil des eingesetzten Materials steigt und somit auch hier ein zunehmender Druck bzgl. Kostenreduktion zu verzeichnen ist.
Was kann uns AM insbesondere bezüglich Nachhaltigkeit bieten?
Lantzsch: Klar: Durch die gezielte Materialnutzung, bei der nur das tatsächlich benötigte Material verarbeitet wird, kann der Ressourcenverbrauch erheblich reduziert werden. Dies ist besonders relevant, wenn man den gesamten Lebenszyklus eines Produkts betrachtet. Wir müssen aber auch sehen, dass die Herstellung und Aufbereitung des Materials energieintensiv ist.
Leuders: Auch in der späteren Nutzungsphase zeigen sich oftmals Vorteile, so z.B. durch reduzierte Ausschussraten oder geringere Taktzeiten im Al-Druckguss bzw. Kunststoffspritzguss, die durch additiv gefertigte Werkzeuge mit konturnaher Kühlung ermöglicht werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Reparatur und Wiederaufbereitung von Werkzeugen und Bauteilen. Dies kann die Lebensdauer von Produkten erheblich verlängern.
Was sind die langfristigen Perspektiven, wo sehen Sie die additive Fertigung in fünf bis zehn Jahren?
Lantzsch: In den nächsten fünf bis zehn Jahren sehe ich die additive Fertigung als einen festen Bestandteil der industriellen Produktion. Die Technologie wird zunehmend aus ihrer Nische herauskommen und in einer Vielzahl von Branchen Anwendung finden, insbesondere dort, wo maßgeschneiderte, komplexe Bauteile gefragt sind.
Leuders: Ich sehe die langfristige Entwicklung ebenfalls vielversprechend. In den nächsten fünf bis zehn Jahren erwarte ich, dass AM in immer mehr Produktionsketten integriert wird und zusätzlich eine zentrale Rolle in der Kreislaufwirtschaft spielt. Die Möglichkeit, Bauteile und Werkzeuge kostengünstig wiederaufzubereiten, wird besonders in Bezug auf Nachhaltigkeit eine große Rolle spielen.
Die Branche ändert sich also langsam aber sicher. Wer sind die Gewinner dieser Entwicklung in der Additiven Fertigung?
Leuders: Die langfristigen Gewinner sind die Unternehmen, die bereit sind, strategisch in neue Technologien zu investieren und gleichzeitig mit den damit verbundenen Unsicherheiten umgehen können. Dementgegen werden sich Branchen und Unternehmen tendenziell schwerer tun, die stark von einer kostengetriebenen Massenproduktion abhängig sind.
Lantzsch: Das sehe ich auch so. Klare Gewinner der Entwicklung sind Branchen, die auf maßgeschneiderte, hochkomplexe Bauteile angewiesen sind und die Vorteile der Flexibilität und Designfreiheit der Additiven Fertigung voll ausschöpfen können. In der Luft- und Raumfahrt sowie die Medizintechnik bietet AM enorme Möglichkeiten. Auch der High-End-Automobilbau und der Motorsport werden von den Möglichkeiten von AM profitieren, insbesondere durch leichtere und leistungsfähigere Komponenten.
Dr. Tim Lantzsch (links) und Dr. Stefan Leuders im Gespräch. Bild: Fraunhofer ILT
Was würden Sie Unternehmen raten, um zu den Gewinnern zu gehören?
Lantzsch: Unternehmen sollten zunächst bereit sein, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Es ist entscheidend, die Technologie nicht als isolierte Insellösung zu betrachten, sondern sie in bestehende Produktionsprozesse zu integrieren. Darüber hinaus empfehle ich, gezielt in die Schulung und Weiterbildung des Personals zu investieren.
Leuders: Unternehmen sollten die additive Fertigung strategisch betrachten und nicht nur die kurzfristigen Vorteile im Blick zu haben. Auch ein konstruktiver Umgang mit eventuellen Rückschlägen gehört sicherlich hierzu. Allerdings können technologische Eintrittsbarrieren auch sehr effektiv gesenkt werden. Anlagenherstellern, Serviceprovider und natürlich auch Forschungseinrichtungen haben ein umfassendes Know-How aufgebaut. Kooperationen helfen hier ungemein - Fehler müssen ja nicht unbedingt zweimal gemacht werden.
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