11.09.2022, von Thomas Masuch
Das junge Unternehmen Constructions-3D aus dem Norden Frankreichs stellt Beton-3D-Drucker her und entwickelt seinen teilweise additiv gefertigten Firmensitz zu einem Zentrum von Kreativität und nachhaltigen Ideen.
Begrüßt werde ich von Nikola Tesla, Albert Einstein und Marie Curie. Als 3D-gedruckte Kunststoff-Büsten thronen die drei auf den Ladestationen für Elektrofahrzeuge auf dem Parkplatz von Constructions-3D in Valenciennes im Norden Frankreichs. Die Ladestationen sind ebenso 3D-gedruckt wie das Eingangsportal zum Produktions- und Bürogebäude. Und auch beim Eintritt in das Gebäude geht die Reise durch die 3D-gedruckte Welt weiter: Am aus Beton gedruckten Empfangscounter umgeben mich links die Stadt Minas Tirith aus „Herr der Ringe“, nebenan reihen sich griechische Götter, indianische Büsten und ein Dschungelpalast, selbstverständlich alles aus dem 3D-Drucker.
Die rund 10 Meter hohen Außenwände der Unternehmenszentrale von Constructions-3D ziert der Name „Citadelle des Savoir-Faire“ – was so viel wie „Festung des Könnens“ bedeutet. Im Inneren stehen Antoine Motte und Axel Théry neben einem rund 2 × 2 Meter großen Beton-3D-Drucker, der einen rund 1 Meter hohen Testdruck ausführt: Präzise gesteuert fährt die Düse immer wieder die Konturen ab und legt jeweils eine Wurst des zähen Betonbreis auf die nächste. Nach rund 15 Minuten ist das Werk, auf dessen Vorderseite der Firmenname „Constructions-3D“ herausgearbeitet ist, vollbracht, und zwei Kollegen ziehen gefühlvoll die Palette mit dem noch labilen Bauwerk hervor. „Solche Test sind für uns immens wichtig, da wir damit unsere eigene Entwicklung verbessern und gleichzeitig die Stabilität von 3D-gedruckten Objekten dokumentieren können“, erklärt Théry, Mitbegründer und Engineering Manager bei Constructions-3D. Der junge Ingenieur steuert von seinem Laptop aus die Druckparameter und den Bauprozess und muss ich beeilen. „Der Zement in den Schläuchen der Anlage trocknet sehr schnell, wir müssen gleich mit dem nächsten Testdruck fortfahren.“
Vom Kran zum 3D-Drucker
Einige Meter weiter füllt eine rund 5 Meter hohe, tonnenschwere stählerne Spinne die Halle: Der MaxiPrinter ist das Hauptprodukt von Constructions-3D, ein flexibel einsetzbarer Beton-3D-Drucker, mit dem das französische Unternehmen die Bauindustrie aufmischen will.
Die Technologie basiert auf einem mit Kettenantrieb fahrenden Kran. „Dieser ist allerdings pneumatisch betrieben und eigentlich recht ungenau“, erklärt Théry. „Unsere Aufgabe in den vergangenen Jahren war es, diese Pneumatik präzise zu machen. Das ist eine große Herausforderung, denn eigentlich ist diese Art von Technologie dafür gemacht, stark und robust zu sein und auf der Baustelle dem Wetter zu trotzen.“ Neben der technischen Modifizierung hat Constructions-3D auch eine eigene Steuerungssoftware entwickelt. Wie groß die Herausforderung war, solch einen Gewichte hebenden Grobmotoriker in einen präzisen 3D-Drucker zu verwandeln, zeigte auch die Reaktion des japanischen Kranherstellers: „Anfangs haben uns die Japaner für verrückt erklärt“, erinnert sich Antoine Motte, Gründer und Geschäftsführer von Constructions-3D, „jetzt schätzen sie uns, weil wir inzwischen eine ganze Reihe von ihren Kränen gekauft haben.“
Inzwischen haben Antoine Motte und sein Team den MaxiPrinter zur Marktreife gebracht und auch mehrfach ausgeliefert. In einem zwar recht jungen, aber doch bereits umkämpften Markt nennt Motte den schnellen Aufbau, der maximal zwei Stunde dauere, und die kompakte Bauweise als Vorteile des MaxiPrinters. „Zusammengebaut passt er durch eine Flügeltür und kann auch in Gebäuden drucken.“ Zudem hat das Unternehmen auch kleinere Betondrucker im Angebot: den MiniPrinter Pro, der sich z. B. für Möbel oder mittelgroße Betonteile eignet, und den MiniPrinter EDU, der vor allem in Berufsschulen zum Einsatz kommt.
Vom Reseller zu 3D-gedruckten Häusern
Die ehrgeizige und sehr zielstrebige Unternehmensentwicklung war dabei am Anfang auch vom Zufall geprägt: Antoine Motte hatte bereits 2013 das Unternehmen Machines-3D in Belgien gegründet, einen Reseller für Desktop-3D-Drucker. Nach dem Umzug nach Valenciennes wuchs das Unternehmen schnell und zählte nach drei Jahren rund 10 Beschäftigte. Bis heute hat das Unternehmen, das heute ebenso in der Citadelle des Savoir-Faire untergebracht ist, diese Größe konstant gehalten. Für einen Messeauftritt baute das Team zu Demonstrationszwecken einen 3D-Drucker für Beton, bei dem viele 3D-gedruckte Bauteile verwendet wurden. „Damit wollten wir weniger unser Engagement in der Bauindustrie zeigen, sondern vielmehr, was man alles mit unseren 3D-Druckern machen kann.“ Der kleine 3D-Drucker, der auch heute noch als Modell nicht weit entfernt vom Montageplatz des riesigen MaxiPrinters steht, war unerwarteterweise der Auftakt zum Einstieg in ein ganz neues Geschäftsfeld: Es gab erste Kontakte aus der Bauindustrie, das ursprüngliche Modell wurde weiterentwickelt und 2017 erfolgte die offizielle Gründung von Constructions-3D. Am Unternehmen hält Motte die Mehrheit, mit Axel Théry, dem Bauingenieur Antoine Urquizar und Senior Sales Manager Didier Malbranque ist aber auch das Gründungsteam beteiligt. Inzwischen zählt auch Constructions-3D 15 Beschäftigte, bis zum Jahresende 2022 sollen es 20 sein.
Blumen, Gemüse und 3D-gedruckte Tische
2019 entstand das erste 3D-gedruckte Gebäude des Unternehmens: „The Pavillon“ steht heute nur wenige Meter neben der Produktionshalle und ist über einen kleinen Weg zu erreichen, der von 3D-gedruckten geschwungenen Randsteinen begrenzt wird. Dabei passiert man einen schmalen Garten, in dem die Beschäftigten jeweils eine kleine Parzelle bewirtschaften und entweder Blumen, Früchte oder Gemüse anbauen. Zum Verweilen lädt eine kleine Ecke mit Tischen und Bänken ein – natürlich sind auch diese aus Beton 3D-gdruckt.
Der runde Pavillon, der aus einer 3D-gedruckten Wand und einem Holzdach besteht, war vor drei Jahren noch ein mit etwas Unsicherheit behaftetes Projekt: „Es gab noch keinen für den 3D-Druck optimierten Beton“, so Antoine Motte, „aber wenn man keine Risiken in Kauf nimmt, wird man nicht der Erste sein.“ Für die nächsten 3D-gedruckten Gebäude wie die Eingangshalle der Citadelle hatte das Team von Constructions-3D das Fertigungs-Know-how schon weiterentwickelt: Für die Wände werden drei senkrechte Wandschichten gedruckt, die zwei hohle Segmente bilden. Diese werden jeweils mit Beton und mit Flachs gefüllt, eine gute Kombination aus Stabilität und Isolierung, wobei Flachs in der Region Hauts-de-France „schon im Mittelalter verwendet wurde und auch von Nagern und Insekten nicht verspeist wird“, so Motte. Zusätzliche Stabilität könne sogar noch damit erreicht werden, in dem das Beton-Segment zusätzlich mit Baustahl verstärkt wird.
Keine Probleme bei der Baugenehmigung
Für Antoine Motte war der Beton-3D-Druck eine Rückkehr auf bekanntes Terrain, denn bereits vor der Gründung von Machines-3D hatte der 38-jährige gelernte Bauingenieur bereits acht Jahre in der Bauindustrie gearbeitet. Dabei konnte der dreifache Familienvater auch seine umfangreichen Kenntnisse beim Umgang mit den Behörden ausspielen, sodass auch die Baugenehmigungen für seine 3D-gedruckten Gebäude ohne große Probleme erteilt wurden. „Die Stadt prüft vor allem Dinge wie Wandstärken, Brandschutz und die Anzahl der Parkplätze“, so Motte. „Die Technologie, die beim Bau zu Einsatz kommt, muss man in Frankreich eigentlich nicht angeben.“
Die problemlose Planung 3D-gedruckter Gebäude gelte derzeit in Frankreich allerdings nur für selbst finanzierte Objekte. Anders sieht es laut Motte bei fremdfinanzierten Projekten aus: „Hier werden Banken wahrscheinlich einen Nachweis verlangen, dass die eingesetzte Technologie erwachsen und zuverlässig genug ist.“ Um die Engstelle bei der weiteren Entwicklung Additiver Fertigung in der Bauindustrie zu beseitigen, werden bei Constructions-3D permanent Testdrucke erstellt und im Laboratorium auf Festigkeit untersucht.
Für diese Tests hat Antoine Urquizar eigens eine Testmaschine (Constructimeter) entwickelt, die an einem frisch gedruckten „Betonkuchen“ im Abstand von wenigen Minuten immer wieder die Festigkeit untersucht. Damit können dann nicht nur Prognosen über die Stabilität, sondern auch über die optimale Geschwindigkeit für den Druck erstellt werden. Diese Maschine für die Qualitätsuntersuchung hat Constructions-3D inzwischen auch als Produkt auf den Markt gebracht und verkauft sie z. B. an Betonhersteller, die damit ihre Materialien testen. „Dabei geht es für uns gar nicht darum, Profit zu machen, sondern den Markt zu vergrößern. Denn nur wenn der Markt wächst, können wir auch als Unternehmen erfolgreich sein und unsere selbst gesteckten Ziele erfüllen“, so Antoine Motte.
Zukunft außerhalb der klassischen Bauindustrie
Neben den technischen Herausforderungen sieht Antoine Motte vor allem in der Bauindustrie und auf dem Feld möglicher Anwendungen noch viel Arbeit vor sich. Die klassische Bauindustrie sei sehr traditionell eingestellt und nur sehr schwer von neuen Technologien zu überzeugen. „Der Markt ist noch nicht weit entwickelt. Die Entwicklung wird derzeit von etwas verrückten Vordenkern bestimmt, denjenigen, die vor fünf Jahren einen Tesla gekauft haben“, schmunzelt Motte. „Deshalb werden wahrscheinlich in der Zukunft die meisten unserer Kunden aus anderen Industriebereichen kommen, die offener für Innovationen sind und damit die Bauindustrie aufrütteln.“ Wie zum Beispiel der OVH-Konzern, Europas größter Cloud-Anbieter, der einen MaxiPrinter bestellt hat, um selbst ein neues Rechenzentrum zu bauen.
Weitere Ideen sollen künftige Anwender auch in der Citadelle des Savoir-Faire bekommen. Rund um die derzeitige Produktions- und Bürohalle hat Constructions-3D ein 2.500 Quadratmeter großes Areal gekauft, das in den nächsten Jahren mit 3D-gedruckten Gebäuden für Büros, Produktion und Entwicklung gefüllt werden soll. Der nächste Schritt dazu wird ein 11 Meter hoher Büroturm sein, für den im Juni 2022 bereits das Fundament zu sehen war. Er soll laut Constructions-3D das weltweit höchste 3D-gedruckte Gebäude werden. Die Finanzierung des ehrgeizigen Wachstums stemmt Constructions-3D selbst. Letztendlich ermögliche aber der Erfolg der Produkte die weitere Entwicklung des Unternehmens: „Mit dem Verkauf der kleinen Maschinen finanzieren wir die Entwicklung der großen, mit dem Verkauf der großen die Entwicklung der Citadelle“, erklärt Motte. Generell sei aber ohnehin nicht die Verfügbarkeit von Geld die Herausforderung, „sondern die richtigen Leute zu bekommen“.
Und als Heimat für Talente seit das recht beschauliche Hauts-de-France eine gute Adresse. „Wir haben hier gute Universitäten und gute Transportwege, auch über die Schelde, über die wir unsere Maschinen und Material verschiffen können.“ Außerdem verfüge Frankreich über sehr gute Forschungseinrichtungen und eine starke Zementindustrie und biete damit beste Wachstumsbedingungen.
Weit mehr als Technik und Business
Die Geschichte von Constructions-3D nur technisch und geschäftlich zu erzählen wäre bei Weitem unvollständig. Denn sie ist auch eine Geschichte von Ideen, geschichtlichen Referenzen und Philosophien. Das soll allerdings nicht den Eindruck vermitteln, das Unternehmen wäre eine unaufgeräumte Kreativbude. Ganz im Gegenteil: Die Hallen und Büros gehören zu den aufgeräumtesten und saubersten, die ich besucht habe.
„Unser langfristiges Ziel ist es, den Menschen weltweit mit dem 3D-Druck eine Lösung zu bieten, um günstige Häuser zu bauen“, erklärt Antoine Motte. Während dieser Spruch oftmals in der Industrie eher als Marketingansatz gemeint ist, steckt bei Motte eine tiefere Idee dahinter: Seine Frau, mit der er seit mehr als 20 Jahren verheiratet ist, stammt ursprünglich von den Philippinen. Er war schon oft im südostasiatischen Land und hat dort viel Not und Armut gesehen. „Dort will ich irgendwann den Obdachlosen ein Dach über den Kopf bieten. Solche Häuser per 3D-Druck zu fertigen ist allerdings nur sinnvoll, wenn man auch lokale Materialien verwenden kann.“
Um dem nachhaltigen 3D-Druck einen Schritt näher zu kommen, hat Constructions-3D in diesem Jahr eine Rezeptur für ein Material mit Lehm entwickelt (Thermix 3D), in das vor allem lokal verfügbare Produkte gemischt werden wie zum Beispiel Lehm, Stroh und Reststoffe aus der Gießerei, die sonst als Abfall entsorgt werden.
Neben der Nachhaltigkeit sprudelt Motte aber noch vor weiteren Ideen. Dazu zählt auch die Wiederauferstehung des Elefanten der Bastille, den Napoleon vor rund 200 Jahren eigentlich als Monument auf dem Pariser Place de la Bastille aufstellen wollte. Später entstand nur ein rund 10 Meter hohes Gipsmodell, das auch in Victor Hugos „Les Misérables“ verewigt wurde und dem Gassenjungen Gavroche ein Zuhause bot. Als Metapher für das Unternehmensziel von Constructions-3D soll der Bastille-Elefant in 3D-gedruckter Gestalt in der Citadelle des Savoir-Faire wieder auferstehen.
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