Text: Thomas Masuch; Fotos: Daimler Buses — 06.09.2020
Der 3D-Druck von Ersatzteilen gehörte bisher eigentlich zu den erprobten, aber eher unspektakulären Anwendungen der additiven Fertigung. Doch bei Daimler Buses zeigt sich nun, welch enormes Potenzial und welche künftigen Geschäftsmodelle dieses Anwendungsgebiet in sich birgt.
Wenn ein Busunternehmen bei Daimler Buses neue, individuell gestaltete Haltegriffe an der Sitzlehne für seinen Setra- oder Mercedes-Benz-Bus bestellt, stammen die offiziell bezeichneten Griffeinleger aus dem 3D-Drucker. Die Kunststoffteile werden bei einem zertifizierten Dienstleister von Daimler Buses gefertigt, bei Daimler Buses geprüft und dann an den Kunden versandt. »Bei insgesamt mehr als 350 3D-Druck-Ersatzteilen für die Bus- und Truck-Sparte ist das bereits so, und damit sind wir weltweit mit komplett freigegebenen Kleinserienteilen einer der Vorreiter in der 3D-Druck-Branche«, erklärt Ralf Anderhofstadt, der bei Daimler Trucks & Buses das Anfang 2019 gegründete Center of Competence 3D-Printing (CoC 3D-Druck) leitet. Für diese Spitzenposition hat Daimler Buses viel Entwicklungsarbeit im Bereich Material und bei den Freigabeprozessen sowie der Bauteilidentifizierung und -zertifizierung in diesem Bereich geleistet. Trotzdem denkt der 38-jährige 3D-Druck-Pacesetter längst weiter: an die dezentrale autonome Fertigung der Zukunft, die das aktuelle Modell künftig ergänzen und auf ein neues Level heben soll.
"Und deshalb steigt unser Potenzial permanent weiter an."
318.000 aktive Ersatzteile im Busbereich
Doch der Reihe nach: Derzeit gibt es mehr als 318.000 unterschiedliche aktive Ersatzteile für die Busflotte. 120.000 davon hält Daimler Buses auf Lager, das täglich von rund 50 Truck-Lieferungen mit bis zu 1.300 Paletten neu bestückt wird. Für einen Zeitraum von 15 Jahren garantiert Daimler die Verfügbarkeit von Ersatzteilen, darüber hinaus bemüht sich der Konzern, Bauteile bestmöglich verfügbar zu haben. »Das kann in bestimmten Fällen zu einer echten Herausforderung werden«, erzählt Anderhofstadt. »Nach vielen Jahren kommt es immer wieder vor, dass Werkzeuge bei Lieferanten nicht mehr vorhanden sind oder, noch schlimmer, Lieferanten nicht mehr existieren. Dies ist dann doppelt ärgerlich: Für Kunden verlängert sich die Wartezeit auf die notwendigen Teile, und für uns entstehen zusätzliche Kosten. Hier wollen wir durch die additive Fertigung die internen Painpoints abfangen, aber insbesondere auch die Lieferzeiten für unsere Kunden deutlich verkürzen.«
Deshalb hat sich Anderhofstadt, der parallel als Projektleiter 3D-Druck bei Daimler Buses fungiert, mit seinem »crossfunktionalen Team zuerst auf die Ersatzteile konzentriert, die uns wehtaten«. Mit den mehr als 350 3D-Druck-Ersatzteilen, die zertifiziert sind und additiv durch Dienstleister gefertigt werden, »haben wir schon einen großen Mehrwert geschaffen«. Voraussetzung hierfür war unter anderem eine spezielle Werkstoffentwicklung, um die hohen Anforderungen an den Brandschutz im Bereich der Personenbeförderung, also unter anderem in der Buswelt, erfüllen zu können.
Zu den bereits 3D-druckbaren Ersatzteilen zählen zum Beispiel Abdeckungen im Interieur, Griffeinleger, Einzelteile der Bestuhlung oder auch metallische Bauteile wie Halterungen in der Abgasanlage. Kunden, die diese Teile nachfragen, erhalten schon heute 3D-gedruckte Bauteile. »Die Resonanz hierauf war durchweg positiv«, erklärt Anderhofstadt. »Letztendlich steht für den Kunden die schnelle Verfügbarkeit unserer Teile in Premiumqualität im Vordergrund. Und es spielt für den Kunden keine große Rolle, wie das Teil gefertigt wurde – schließlich soll der Bus so schnell wie möglich wieder auf die Straße.«
Zwar ist der 3D-Druck als Herstellungsmethode nicht bei jedem Ersatzteil sinnvoll. Doch Anderhofstadt hält derzeit ein Potenzial von 8 bis 10 Prozent des gesamten Bus-Teileportfolios für additiv fertigbar, wobei er das Wort »derzeit« betont. Denn durch neue Produktionsverfahren und neue Materialien unter anderem in den Bereichen Glas, Gummi oder Metall nimmt auch die Bandbreite 3D-druckbarer Ersatzteile zu. »Und deshalb steigt unser Potenzial permanent weiter an.«
Beschaffungsmodell wird tranformiert
Anderhofstadt und sein Team, das übrigens eng mit mehr als 25 anderen Abteilungen innerhalb der Daimler AG wie zum Beispiel Legal, IT, Ausbildung oder Teilefertigung zusammenarbeitet, wollen das Potenzial der additiven Fertigung darüber hinaus nutzen, um das klassische Beschaffungsmodell zu transformieren, und zwar »von einem rein physischen zu einem digitalen Geschäftsmodell«. Die große Chance liegt hier in der werkzeugunabhängigen Fertigung an unabhängigen Standorten überall auf der Welt: So sollen Partner zukünftig Ersatzteile direkt am Point of Sale additiv produzieren. Das klassische Geschäft in den Bereichen Einkauf, Qualitätskontrolle und Versand wird somit durch den Game-Changer 3D-Druck transformiert.
Auswahl von 3D-gedruckten Polymer-Teilen aus dem Interieur-Bereich sowie eines bionisch konstruierten, 3D-gedruckten Metallteils.
Ziel ist es, dass Daimler Buses ergänzend zum aktuellen Geschäftsmodell zukünftig digitale Datensätze zur Verfügung stellt. Damit eröffnet sich die Möglichkeit für den Kunden, ausgewählte Teile selbst in 3D zu drucken oder sich an einen zertifizierten Produktionspartner von Daimler Buses zu wenden. Um sicherzustellen, dass nur die bestellte Menge an Bauteilen 3D-gedruckt wird, lösen sich die Daten im Anschluss wieder auf. Was nach ferner Zukunftsmusik klingt, nimmt bei Daimler schon reale Züge an: Derzeit läuft ein Pilotprojekt mit einem ersten Partnerbetrieb.
Bei diesem digitalen Geschäftsmodell liefert Daimler nicht nur die Designs, sondern auch wichtige Prozessinformationen wie Hardware, Material oder notwendige Druckparameter. Schließlich müssen die 3D-gedruckten Teile die Qualität der Teile haben, die zuvor konventionell produziert wurden – auch bei der Fertigung bei externen Partnern. »Qualität steht für uns als Premiumhersteller schließlich ganz oben«, betont Anderhofstadt.
Trotzdem birgt ein solch radikaler Wandel Herausforderungen auf vielen Ebenen, von der Datensicherheit bis hin zur Frage, welches Material und welche Maschinen eingesetzt werden sollen. Angedacht sind sowohl eigene 3D-Druck-Zentren in den Außenorganisationen von Daimler Buses als auch die Kooperation mit zertifizierten Partnern. »Letztendlich wird es eine Mischform geben, bei der wir auch die regionalen und kulturellen Besonderheiten beachten.«
Einen entscheidenden Schritt sieht Anderhofstadt dabei im Wandel vom Prototyping zur Serienfertigung. Auch wenn das Ersatzteilwesen in den Bereich der Kleinserie fällt, »müssen wir alle Freigabeprozesse der Serienproduktion gewährleisten. Das heißt, dass ein Teil, das ich heute in Deutschland drucke, mit einem Teil identisch sein muss, das ich in zwei Wochen dezentral an einem definierten Standort in oder außerhalb Europas drucke.« Diese Reproduzierbarkeit ist ein wichtiger Baustein für dieses Modell und stellt ein Entwicklungsthema bei Herstellern von AM-Systemen, Servicebüros und IT-Experten dar.
Integrierter Marker gegen Produktpiraterie
Da die Chancen des 3D-Drucks für Daimler Buses auch schnell zum Risiko werden können, spielt das Thema Brand Protection eine wichtige Rolle bei dieser Entwicklung. Schließlich erlaubt die fortschreitende Scantechnik ein immer ausgefeilteres Reverse Engineering: Aus einem physischen Bauteil lassen sich recht problemlos Daten erzeugen, mit denen auf einem 3D-Drucker Kopien hergestellt werden können. »Produktpiraterie könne sich so mitunter, trotz einiger Hürden, noch schneller umsetzen lassen«, befürchtet Anderhofstadt.
Um dem vorzubeugen, versieht Daimler Buses seine 3D-gedruckten Teile mit einem speziellen Schutz. So lässt sich zweifelsfrei feststellen, ob ein Bauteil von Daimler Buses bzw. einem zertifizierten Partner oder aus einer anderen Quelle stammt.
Daimler Buses
Daimler Buses gehört zur Daimler Truck AG und stellt eine Division des Daimler-Konzerns dar, die rund 18.000 Mitarbeiter beschäftigt. 2019 wurden weltweit 32.600 Busse und Fahrgestelle abgesetzt und ein Umsatz von 4,7 Milliarden Euro erzielt.
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