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AM und Nachhaltigkeit

Eine Frage der Energie und Anwendung

Text: James Woodcock, 03.09.2024

Ist die Additive Fertigung eine nachhaltige Produktionsmethode und wie kann diese Technologie dabei helfen, den ökologischen Fußabdruck zu verbessern? Wir haben die Faktoren und Einflüsse, die dabei eine Rolle spielen, analysiert.

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Für die 3D-gedruckten YouMawo-Sonnenbrillen haben EOS, YouMawo und Fraunhofer EMI eine Ökobilanz ermittelt. Demnach ist der CO2-Fußabdruck der additiv gefertigten Brillen um 58 Prozent geringer ist als der eines vergleichbaren Gestells. Bild: YouMawo

Wenn man über Nachhaltigkeit und Additive Fertigung (AM) spricht, muss man im Wesentlichen drei Gesichtspunkte im Kopf haben: Erstens geht es um die Nachhaltigkeit der Technologien selbst, wobei wir die Lieferkette, die Produktion und den Betrieb der Maschinen, die verbrauchten Ressourcen, die benötigte Energie und die entstehenden Abfallströme berücksichtigen müssen. Zweitens geht es um die Auswirkungen, die die Additive Fertigung unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit auf die herkömmlichen Fertigungsketten haben kann (zum Beispiel durch Effizienzverbesserung). Und drittens geht es darum, welchen nachhaltigen Beitrag additiv gefertigte Bauteile während ihrer Lebensdauer leisten.

Um eines schon vorweg zu sagen: Eine ehrliche Betrachtung dieser drei Themen ist sehr komplex. Es gibt viele Variablen, die gemessen werden müssen, und verschiedenste Blickwinkel, aus denen man auf einen Sachverhalt schauen kann.

Wie nachhaltig ist AM als Prozesskette?

Ob ein Prozess ökologisch nachhaltig ist, hängt stark vom Umfang der Untersuchung ab. Eine zu enge oder zu weite Sichtweise kann so gut wie jede Hypothese beweisen oder widerlegen und lässt viel Raum für Interpretationen. Bei AM kommt erschwerend hinzu, dass die Technologie an sich sehr vielschichtig ist: Es gibt Dutzende Verfahren, Hunderte Anbieter und Tausende Materialien.

Einige grundlegende Prinzipien gelten jedoch für alle Verfahren: Alle AM-Prozesse verbrauchen Energie – manche mehr, manche weniger. Die Art und Weise, wie diese Energie erzeugt wird, trägt in hohem Maße zum Gesamtbild der Nachhaltigkeit bei. Ein energieintensiver Prozess, der mit erneuerbarem Strom betrieben wird, kann nachhaltiger sein als ein effizienterer Prozess, der auf fossile Brennstoffe angewiesen ist.

Auch die Materialien spielen eine wichtige Rolle. Werden Materialien neu hergestellt, werden Rohstoffgewinnung, Verarbeitung und Transport zu 100 Prozent auf dem Nachhaltigkeitskonto verbucht. Recycelte Materialien können besser sein – aber das hängt von der Menge und der Herkunft der Energie ab, die für den Recyclingprozess benötigt wird.

Ein Beispiel für die Komplexität der Betrachtung ist auch die Konstruktion der Maschinen selbst. In dem Bestreben, das Gewicht des Systems gering zu halten, bestehen Strukturelemente in der Regel aus Aluminium. Bauteile aus Stahl dagegen würden den CO2-Fußabdruck des Maschinenbaus drastisch verringern (1,9–2,8 Tonnen CO2 pro Tonne Stahl im Vergleich zu 11,5–13,0 Tonnen CO2 pro Tonne Aluminium). Gleichzeitig würde das größere Maschinengewicht den CO2-Verbrauch des Transports des Systems zum Endnutzer leicht erhöhen.

Letztendlich kann AM sein volles nachhaltiges Potenzial am besten ausspielen, wenn bereits in der Konzeptions- und Designphase additiv gedacht wird. Werden hingegen bestehende Teile ohne Designänderung 3D-gedruckt, hat dies in der Regel nur geringe nachhaltige Auswirkungen. Erst durch „Design for AM“ können die Hersteller die Möglichkeit nutzen, nur die Materialien zu verwenden, die erforderlich sind.

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Caracol und NextChem arbeiteten gemeinsam an dem Projekt »Beluga«, einem einteiligen Segelboot, das aus recyceltem MyReplast-Polymer 3D-gedruckt wurde. Bild: Caracol

Materialien im Fokus

Während der Formnext 2023 in Frankfurt stand das Thema Nachhaltigkeit für viele der größeren Unternehmen im Mittelpunkt. Fast jeder dieser Aussteller präsentierte eine Story zum Thema Nachhaltigkeit – manchmal war sie auf dem Messestand sehr präsent, ein anderes Mal eher in den Details versteckt.

Vielleicht in dem Bewusstsein, dass die Prozesse selbst von Fall zu Fall qualifiziert werden müssen, konzentrierten sich die Nachhaltigkeitsgeschichten der Aussteller auf Materialien und Anwendungen.

Kunststoffe – und insbesondere Kunststoffabfälle – stehen weltweit im Mittelpunkt der Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit. Für die AM-Welt bedeutet dies sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance. Ein Beispiel: Photopolymere können nicht oder nur sehr schwer recycelt werden. Die aus Photopolymeren hergestellten Teile mögen zwar in der Praxis Vorteile haben, aber der entstehende Abfall ist leider nur Abfall. Verbrennung und Deponierung sind die einzigen praktikablen Entsorgungswege.

Einige Unternehmen arbeiten an der Entwicklung von Photopolymeren auf Biopolymerbasis. Diese lassen sich besser recyceln oder sind weniger aufwendig zu entsorgen. Bei bestehenden Materialien werden Anstrengungen unternommen, um den CO2-Fußabdruck am Verkaufsort zu verringern, die Recyclingfähigkeit zu verbessern und kreisförmige Abfallströme zu schaffen.

Granulat für 3D-Drucker auf Polymerbasis kann die Nachhaltigkeit positiv beeinflussen. Denn dieses Ausgangsmaterial wird vor dem Druck weniger stark verarbeitet (d. h. zu Filamenten extrudiert, gewickelt usw.). Außerdem lassen sich in Pellet-Systemen recycelte Polymere, die auf das richtige Größenprofil gemahlen wurden, leichter verwenden.

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Die Adidas/Carbon-Laufschuhe zeigen, wie 3D-Druck den Erfolg auf dem Massenmarkt ermöglicht. Die 3Dgedruckte Zwischensohle aus Carbon EPU 44 enthält 40 Prozent biobasierte Materialien. Bild: Adidas

Metallpulver: Frustration und Chancen

Beim 3D-Druck von Metall sorgen die Materialien oftmals sowohl für Frustration als auch für Chancen. Für die am häufigsten verwendeten Metall-AM-Technologien müssen die Materialien pulverisiert werden und eine bestimmte Morphologie und chemische Zusammensetzung aufweisen. Die Herstellung solcher Metallpulver sorgt für eine hohe Umweltbelastung. AM-Anwendungen, die nur einen kleinen Teil dieses Pulvers verwenden, verstärken diesen negativen Effekt noch weiter. Jedes Kilogramm AM-Pulver trägt daher nicht nur die Umweltkosten seiner eigenen Herstellung, sondern auch die Kosten für unbrauchbares Pulver. Auch eine Aufbereitung verursacht hohe ökologische und wirtschaftliche Kosten.

Auf der Formnext war das den Ausstellern bewusst und jedes Unternehmen zeigte gern seine individuelle Herangehensweise an diese Herausforderung. Einige Unternehmen können erneuerbare Energiequellen anzapfen, was sich sofort positiv auf ihre CO2-Bilanz auswirkt, während Wettbewerber aus fossilen Rohstoffen hergestellte Energie verwenden. Der Unterschied ist beträchtlich, selbst wenn der Prozess derselbe ist. Auch das Recycling von Altteilen, Schrott und nicht spezifikationsgerechtem Material war auf der Messe ein Thema, insbesondere bei hochwertigen Metallen und Legierungen.

Ganzheitliche Betrachtung und Lebenszyklus als Verkaufsstrategie

Jeder, der sich mit wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit befasst, kann mit AM einen nachhaltigen Nettonutzen erzielen. Denn nur mit AM lassen sich topologisch optimierte, von der Natur inspirierte Geometrien herstellen. Diese Gestaltungsfreiheit und das Potenzial, dass additiv gefertigte Teile leichter, fester und widerstandsfähiger gegen Hitze und Verschleiß sind, sorgen für enorme nachhaltige Möglichkeiten.

Eines der bekanntesten Beispiele ist die Luft- und Raumfahrt, in der das Gewicht der Bauteile von Bedeutung ist. Durch die von AM ermöglichte Design-Freiheit können Komponenten leichter werden und über eine Lebensdauer von Jahrzehnten deutliche Effekte erzielen. Jeder Flug, bei dem diese Teile zum Einsatz kommen, hat einen geringeren Treibstoffverbrauch.

Auf der der Formnext 2023 wurde deutlich, dass AM-Unternehmen die Herausforderungen der Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachten. Die Lebenszyklusanalyse von Bauteilen spielt auch bei der Verkaufsstrategie eine immer wichtigere Rolle. Dabei liegt der Fokus auf den Auswirkungen von additiv gefertigten Teilen und Komponenten „von der Wiege bis zur Bahre“.

Je größer das Teil, desto größer der (potenzielle) Nutzen

Additive Anwendungen sind oft durch das Bauvolumen der eingesetzten AM-Anlagen begrenzt. Es gibt jedoch eine Reihe größerer Systeme auf dem Markt, die sowohl für den metallischen als auch für den nichtmetallischen Druck geeignet sind, z. B. Large Format AM (LFAM) und einige DED-Systeme (Directed Energy Deposition).

Der Umgang mit größeren Bauteilen verdeutlicht die potenzielle Nachhaltigkeit von AM-Verfahren in mehrfacher Hinsicht:

  • Wenn ein großes Teil subtraktiv hergestellt wird, ist der entstehende Abfallstrom proportional höher. Hier kann die Fähigkeit von AM, nur das benötigte Material zu verwenden, zu erheblichen Zeit- und Materialeinsparungen führen und Abfallströme reduzieren.
  • Größere Teile stellen auch eine Herausforderung für die Logistik dar. Die Möglichkeit, am gewünschten Einsatzort zu fertigen, ist von großem Vorteil. Versand, Handhabung und Lagerung großer Teile sind für einen erheblichen Teil ihrer Umweltauswirkungen verantwortlich.

Fazit: potenzielles Leuchtfeuer für nachhaltigen Fortschritt

AM bietet einen potenziell transformativen Weg, um die Art und Weise, wie wir produzieren, konsumieren und über den Lebenszyklus unserer Produkte nachdenken, neu zu gestalten. Bei richtiger Anwendung kann es Abfälle minimieren, das Design im Hinblick auf die Effizienz optimieren und das Beste aus nachhaltigen Materialien machen. Mit Blick auf die erneuerbare Elektrifizierung der Industrie und die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft, die im AM-Sektor übernommen wurden, ist diese Technologie nicht nur ein wertvolles Produktionswerkzeug, sondern kann ein Leuchtfeuer für den nachhaltigen Fortschritt sein. Angesichts des Drucks, der von den Endverbrauchern, den Partnern in der Lieferkette und den Regulierungsbehörden ausgeht, sieht die nachhaltige Zukunft von AM rosig aus.

Aufgrund der Breite der AM-Technologien, -Materialien und -Anwendungen lässt sich eine pauschale Aussage zur Nachhaltigkeit von AM nur schwer treffen. Denn bei der Beurteilung jedes einzelnen Verfahrens müssen unzählige Faktoren berücksichtigt werden. Insgesamt lassen sich aber drei wichtige Faktoren nennen, die generell einen starken Einfluss haben: der Einsatz grüner Energie, eine Konstruktion, die die Vorteile von AM ausschöpft, und die lokale Produktion am Ort des Bedarfs.

MEHR INFOS UNTER:

eos.info

caracol-am.com

carbon3d.com

Tags

  • Nachhaltigkeit