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Kolumne Schräg gedacht

Zwischen Bach und Revolution

Text: Thomas Masuch, 03.09.2024

Vor ein paar Wochen hatte ich das Glück, mal wieder ein paar Tage in Leipzig verbringen zu können. Die Stadt ist für mich eine der schönsten und lebenswertesten Städte Deutschlands, gleichzeitig eine Schatzkammer historischer Ereignisse. Das reicht von Johann Sebastian Bach, der vor rund 300 Jahren in der Thomaskirche als Kantor diente, bis hin zu den Montagsdemonstrationen im Herbst 1989, die letztendlich zum Sturz der sozialistischen Diktatur in der DDR führten. Übrigens die einzige Revolution, die je in Deutschland erfolgreich umgesetzt wurde.

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Illustration: feedbackmedia.de, iStock / artbesour, erhui1979, sv-time, elenabs

Inzwischen hat sich der Geist des Umsturzes wohl aus der Stadt verzogen, dafür erreichte mich in jenen Tagen etwas Revolutionäres aus der Welt des 3D-Drucks. Ein recht namhafter Hersteller von AM-Anlagen stellte in einer Pressemitteilung sein neuestes Modell vor und betonte dabei ausdrücklich, dass dieser Drucker die AM-Fertigung revolutioniere. Gleichzeitig könnten Produktionsunternehmen damit ihre Fertigung ganz neu aufstellen. Wenn ich solch vollmundige Versprechungen lese, wandert mein erster Blick auf das Datum der Veröffentlichung: Es war tatsächlich eine Nachricht aus dem Jahr 2024 und nicht von 2014. Damals verkündeten nicht wenige Unternehmen und selbst ernannte Experten eine Revolution der Fertigung: Bald sollte alles aus dem 3D-Drucker kommen – vom Schnitzel bis zum Auto. Und selbst Start-ups, die einen weiteren günstigen FDM-Drucker auf den Markt brachten, betrachteten sich als Wegbereiter dieser Revolution, die nebenbei auch unser gesamtes Alltagsleben verändern sollte.

Sicherlich waren diese Nachrichten auch an Investoren gerichtet, und tatsächlich ließen sich auf diesem Wege immer wieder millionenschwere Investments eintreiben. Bis heute frage ich mich, ob Investoren damals, insbesondere in den USA, solche Versprechungen glaubten. Am Ende war dies aber wohl gar nicht entscheidend, solange die Story so überzeugend war, dass man immer wieder neue Investoren für die nächste Finanzierungsrunde oder sogar für einen Börsengang finden konnte. Einige Jahre später waren viele hochfliegende Wetten nicht aufgegangen: Das AM-Markt wuchs zwar konstant zweistellig, doch die Revolution war erst einmal ausgeblieben. Die Rechnung zahlten unter anderem Aktionäre, die ihre Anteilsscheine bei einigen AM-Unternehmen nicht rechtzeitig verkauft hatten. Aber immerhin hatte diese Entwicklung auch etwas Gutes: Es floss viel Geld in den Markt und daraus entstanden zahlreiche technische Innovationen.

Statt revolutionierend wirkt AM vielleicht eher wie Bach: Kunstvoll melodisch, getragen von einem kontinuierlichen Rhythmus, zieht die Technologie immer mehr Liebhaber und Nachahmer in ihren Bann. So entstehen immer wieder neue, sehr spezielle Werke und Projekte. Und nach 300-jähriger AM-Geschichte wird man in Zukunft sicherlich feststellen, dass AM die Welt der Fertigung deutlich vorangebracht und geprägt hat. Ich bin mir aber sicher, dass das schon eher passiert. Denn trotz allem Realismus steckt in AM auch ein Stück Revolution.

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