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Kolumne Schräg gedacht

Digitale Weintrauben

Text: Thomas Masuch, 17.02.2024

Letztens stand vor mir an der Supermarkt-Kasse ein unscheinbarer Mann, der das Renteneintrittsalter schon deutlich überschritten hatte. „Haben Sie unsere App?“, fragte ihn die Kassiererin freundlich. „Nein, habe ich nicht, schaffe ich mir auch nicht an. Ihr wollt doch nur meine Daten“, entgegnete der Senior recht barsch und startete eine Tirade über die unnütze digitale Welt. 

Ich fragte mich, welche geheimen Daten es an dem Mann auszuspähen gab, hatte aber auch gleichzeitig Verständnis für ihn, der wie andere ältere Semester einen Großteil seines Lebens ohne Apps ausgekommen ist und vielleicht sogar erfülltere Jahre hatte als mancher Jungspund heutzutage. Vielleicht trägt diese romantische Wahrnehmung der guten alten Zeit in Deutschland dazu bei, dass sich manche digitalen Entwicklungen hierzulande im Schneckentempo bewegen.

 

Illustration: feedbackmedia.de, iStock / jemastock
Illustration: feedbackmedia.de, iStock / jemastock

„Nein, das glaube ich nicht, unser Unternehmen ist nur an ihrem Einkaufsverhalten interessiert“, blieb die Kassiererin bewundernswert freundlich professionell. Kurz darauf war ich an der Reihe und scannte meine App. Meine Shopping-Vorlieben teile ich gern, freue mich hin und wieder über vergünstige Avocados und bin gespannt darauf, wie die künstliche Intelligenz des Supermarktes mit jemanden umgeht, der größtenteils Obst, Gemüse, Milch und Butter einkauft. 

Neuerdings sendet mir die App Gratis-Coupons für Speck oder Fleischsalat, also aus den Regionen des Marktes, auf deren Besuch ich meist verzichte. Ist das eine sehr intelligente Besuchersteuerung oder wurde der Fleischsalat einfach in zu großer Stückzahl produziert? Vielleicht frage ich das nächste Mal die Kassiererin …

Meine Frau dagegen ist in der digitalen Shopping-Welt deutlich fortschrittlicher unterwegs und hat sich beim Lieferservice einer anderen Supermarkt-Kette angemeldet. Damit zählt sie in Deutschland übrigens zur Minderheit: Der Online-Anteil beim Verkauf von Lebensmitteln lag 2022 nur bei 2,9 Prozent. 

Geliefert wurde bei uns allerdings noch nichts, stattdessen gab es einen Platz auf der Warteliste (Platz 973). Anfangs erschien mir das als genialer Marketing-Schachzug: Durch die Verknappung des Zugangs steigt die Wertigkeit des Angebots, wie bei jedem Produkt-Release von Apple, bei dem die Fans sehnsüchtig in der Schlange vor den Stores ausharren. Nur dass es hier statt eines brandneuen iPhones eben Brokkoli oder Zwiebeln gibt.   

Rund vier Wochen später ist meine Frau auf der Warteliste auf Platz 970 vorgerückt. Um „die Wartezeit zu versüßen“, spendierte die Lieferservice-App zwei Coupons: 500 Gramm Weintrauben und ein Glas Erdbeerkonfitüre. Wenn es weiter so schnell vorangeht, sind wir in 323 Monaten, also in knapp 27 Jahren, glückliche Kunden und können dann die Konfitüre und die Weintrauben genießen. Vielleicht sind bis dahin noch ein paar weitere Versüßungs-Coupons hinzugekommen – ein Fleischsalat zum Beispiel. Falls nicht, reihe ich mich im Jahr 2051 als Rentner in die Schlange im Supermarkt ein und sage dem Roboter an der Kasse, dass ich mit der digitalen Welt nichts mehr zu tun haben will. 

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