Kolumne Schraeg gedacht / von Thomas Masuch — 19.05.2022
Schon als Kind habe ich gern Biografien gelesen – meine erste hatte das Leben von Gaius Julius Caesar zum Thema, das bekanntermaßen nicht gerade arm an abwechslungsreichen Episoden war. In den letzten Jahren scheint unter Prominenten der Drang gestiegen zu sein, ihre mehr oder weniger großen Spuren in der Weltgeschichte auf Papier zu bringen. Um in der Analogie Caesars zu bleiben, verewigt als in Buchstaben gehauene Statuen auf dem Forum des Buchmarktes.
Auch Bastian Schweinsteiger, Ex-Kapitän der Fußballnationalmannschaft, fühlte sich vom Drang beseelt, die Episoden seines Lebens einer breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen, und engagierte dafür den Schweizer Schriftsteller Martin Suter. Dieser recherchierte angeblich zwei Jahre lang und kam am Ende offenbar zu dem Schluss, dass die realen Episoden des Kickers auf und abseits des grünen Rasens dramaturgisch betrachtet wohl nicht für ein gutes Buch reichen würden. Denn für „Einer von euch“ schickte Suter seine Fantasie aufs belletristische Spielfeld und erzählt auf 192 Seiten „Wahres und fast Wahres“, wie der Klappentext verrät.
Die Wahrheit mit Fantasie anzureichern hat zwar in diesem Fall trotzdem nicht zu einem großartigen Buch geführt; dennoch ist die Methode auch im Wirtschaftsleben nicht unüblich und manchmal sogar Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg – zumindest wenn man sie wohldosiert einsetzt. „Die Phantasie lässt keinen Wunsch offen – aber sie erfüllt auch keinen“, schreibt Erna Lackner in ihrem Buch „Phantasie in Kultur und Wirtschaft“.
Von viel positiver Fantasie getragen ist manchmal auch eine aufstrebende Industriebranche wie die Welt der Additiven Fertigung. Ohne sie wären viele Innovationen und Geschäftsideen vielleicht gar nicht auf den Weg gekommen. Dass auch etablierte Unternehmen Fantasie haben und nicht nur nach Geschäftszahlen agieren, zeigte sich auf der Formnext 2021 zum Beispiel daran, dass große Hersteller von AM-Maschinen teilweise ihr geschäftliches Handeln ganz nach der Maßgabe der Nachhaltigkeit ausrichten, um damit den aktuellen und künftigen Herausforderungen von Industrie und Gesellschaft zu begegnen. Wohlgemerkt teilweise. Denn ein Manager eines anderen großen Herstellers erklärte mir, etwas weniger von nachhaltiger Fantasie euphorisiert, „dass wir keine Maschine mehr verkaufen, wenn sie nachhaltiger ist, aber dafür etwas mehr kostet“.
Nun haben uns die letzten Monate auch aufgrund der enorm gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise noch deutlicher vor Augen geführt, dass das Thema Nachhaltigkeit inklusive Ressourcenschonung wichtiger ist denn je. Hier ist die Realität so schnell vorangeschritten, dass es der Fantasie gar nicht mehr bedarf.
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