10.09.2022, von Thomas Masuch
Im äußersten Südwesten Frankreichs hat sich Lynxter zu einem aufstrebenden 3D-Drucker-Hersteller entwickelt, der gerade dabei ist, zum nächsten großen Sprung anzusetzen.
Nur rund fünf Kilometer vom mondänen Biarritz entfernt, wo der Atlantik an die Felsen der Stadt kracht, Touristen auf den Spuren Ernest Hemingways wandeln und sonnengebräunte Surfer im Wasser dümpeln und auf die passende Welle warten, steht Thomas Batigne vor dem Werkstor von Lynxter und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf ein brachliegendes Areal auf der anderen Seite der Straße. Hier hat der 27-jährige Unternehmer noch viel vor: „Das 3.500 Quadratmeter große Grundstück haben wir uns schon gesichert, dort wollen wir eine neue Firmenzentrale mit Platz für bis zu 100 Beschäftigte bauen.“
Im französischen Teil des Baskenlands, einer Region, die in ganz Europa für ihre breiten Strände, hohen Wellen und rot-weiß gestrichenen Fachwerkhäuser bekannt ist, hat Batigne, CEO und Gründer von Lynxter, mit seinen Freunden und Mitgründern Julien Duhalde und Karim Sinno ein Unternehmen aufgebaut, das inzwischen 30 Beschäftigte zählt und weiterhin schnell wächst. Im Zentrum der Entwicklung steht der modulare Drucker S600D, dessen Stärke laut Batigne vor allem in seiner Flexibilität liegt und mit dem sich zum Beispiel auch Silikon in größerem Maßstab und industrieller Qualität drucken lässt. „In diesem Materialbereich sind wir das Unternehmen, das weltweit die meisten Maschinen verkauft hat.“
In der Halle hinter Batigne arbeiten in zwei Reihen rund ein Dutzend S600D-3D-Drucker. Im Inneren der Drucker legt jeweils eine an drei Säulen befestigte Düse Silikone, Keramik oder andere Kunststoffe auf dem Druckbett ab und formt verschiede Testkörper. Mit diesen sollen mögliche Kunden von der Leistung des Druckers überzeugt werden. Gleichzeitig testet Lynxter auch neue Ideen und Anwendungen. „Wir verkaufen zwar in erster Linie Drucker, aber wir müssen den Kunden auch die Ideen für neue Anwendungen mitliefern, damit der Markt weiter wächst“, so Batigne.
Die Entwicklung des Unternehmens läuft so gut, dass der Platz in den bisherigen Räumlichkeiten in einem modernen Industriegebiet am Stadtrand von Bayonne inzwischen recht eng geworden ist und das Unternehmen zu einem weiteren, größeren Sprung ansetzt.
Der erste Drucker ging an Airbus
Von solch ehrgeizigen Entwicklungen war vor rund sieben Jahren noch nicht viel zu ahnen: Batigne, Duhalde und Sinno kannten sich von der Ingenieursschule ENIT in Tarbes (L’École Nationale d’Ingénieurs de Tarbes). Batigne hatte sich zwar schon selbstständig gemacht und 3D-Drucker entwickelt, aber dann „hatten wir gemeinsam die Idee, ein Unternehmen zu gründen, weil es damals keine offenen industriellen 3D-Drucker gab“. Zufälligerweise fand zu der Zeit in der Region ein Gründerwettbewerb statt, an dem die drei „nur zum Spaß“ teilnahmen, den ersten Preis gewannen und dabei auch von Airbus entdeckt wurden. „Das Unternehmen kam auf uns zu und sagte, wenn wir den Drucker, der damals nur als Modell existierte, in sechs Monaten liefern können, würde Airbus ihn kaufen.“ Die drei Freunde arbeiteten von da an Tag und Nacht an ihrem Drucker und lieferten ihn rechtzeitig aus. Das war im September 2016.
Nach dem aufregenden Start verlief die weitere Entwicklung des Unternehmens für ein Start-up erst einmal recht unspektakulär – vor allem auch weil die drei Gründer zunächst den Einstieg von Investoren ablehnten. „Wir wollten nicht von einem Großen gefressen werden und lieber alles selbst machen – wir schrieben an den Programmen, bauten die Drucker zusammen, installierten sie bei den Kunden und nahmen die Anrufe entgegen, wenn ein Kunde Fragen hatte.“ Gleichzeitig entwickelten sie auch den Drucker weiter und stellten 2018 ihre Lösung für den Druck von Silikon vor – ihre Liquid Dispensing Technology.
Investoren halfen bei weiterem Wachstum
In der Zwischenzeit reifte bei den drei Freunden dann doch die Erkenntnis, dass ein weiteres Wachstum besser mithilfe von externen Geldgebern zu stemmen ist. 2019 flossen so 1,5 Mio. Euro ins Unternehmen. „Damit konnten wir weiteres Personal einstellen, mit Vertriebspartnern zusammenarbeiten, unser Wachstum in Frankreich vorantreiben und uns eine professionellere Struktur geben.“ Inzwischen wird der S600D zum Beispiel vom Onlineshop IGo3D vertrieben, und in den USA wurden bereits erste Pilotprojekte mit Vertriebspartnern gestartet.
Für das weitere, internationale Wachstum bereitet Lynxter, dessen Name an die ägyptischen Tempelwächter, die Sphinxe, angelehnt ist, gerade eine weitere Investment-Runde vor. Damit soll das Wachstum im französischen Markt in anderen Märkten wiederholt werden. Details dazu wollte Batigne in einem persönlichen Gespräch im Juli 2022 noch nicht verraten, nur so viel, dass „das wahrscheinlich eine der größten Investmentrunden in der französischen AM-Industrie“ wird.
Dass Lynxter bei der Finanzierung inzwischen so erfolgreich agiert, liegt auch daran, dass Batigne in dem Bereich weltweit die Augen offenhält und Kontakte pflegt. „Denn in Frankreich sind die Finanzierungsmöglichkeiten weit weniger entwickelt als zum Beispiel in Deutschland, dem UK und ganz zu schweigen von den USA. Deshalb sprechen wir bei weiteren Runden auch mit Investoren aus dem UK und den USA. Die sind deutlich risikobereiter und auch bereit, größere Summen zu investieren.“
„Menschliches Klima im Unternehmen beibehalten“
Mit dem Wachstum kamen auch ganz neue Herausforderungen: „In unserer Branche gibt es ja ganz wenige Menschen mit Erfahrungen, deshalb mussten wir im Prinzip unsere Beschäftigten von Grund auf schulen und alles, was wir wussten, weitergeben“, so Batigne. Gleichzeitig ist aus dem Software- und Prozessentwickler und Servicemitarbeiter Batigne ein reiner Manager geworden. „Wir haben jetzt eine andere Struktur – es gibt Spezialisten und Verantwortliche für Sales und Finanzen. Trotzdem wollen wir unser menschliches Klima im Unternehmen beibehalten – das ist wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen für die Zukunft“, so Batigne, den es im Sommer, wenn die meisten Beschäftigten in den Ferien sind, hin und wieder in die Werkstatt zieht. Hier tüftelt der 27-Jährige dann wie in alten Tagen wieder selbst an der Technik und der Software.
Wie viele Drucker das Unternehmen bereits am Markt hat, will man nicht offiziell bekannt geben, „aber wir sind in Frankreich sehr gut vertreten“, so Batigne. Unter anderem haben Großkonzerne wie Airbus, Schneider Elektrik, Sanofi oder Total einen Lynxter S600D, das bisher einzige und mehrmals aktualisierte Modell des Unternehmens, erworben und setzen den Drucker auch in der Produktion ein. Auch zahlreiche Forschungseinrichtungen (u. a. CNRS, ESILV) oder namhafte französische Service-Provider wie Erpro Group oder Third haben laut Batigne den S600D im Einsatz.
Große Material-Brandbreite
Erfolgsgeheimnis des S600D ist laut Lynxter sein vielseitiger Einsatz und die große Bandbreite an Materialien, die er verarbeiten kann: unter anderem Silikone, Polyurethane, verschiedene Pasten (Metalle und Keramiken) sowie Thermoplastik-Filamente. Lynxter verkauft eine Reihe von eigens zertifizierten Materialien, darüber hinaus können auch alle anderen mit dem Drucker verarbeitet werden. Gleichzeitig bietet das Unternehmen ein Entwicklungs-Kit an, das die individuelle Anpassung von Modulen, Materialien und Software ermöglicht.
Dank der großen druckbaren Materialvielfalt bietet sich für das Unternehmen ein enorm großer potenzieller Markt, in dem sich Lynxter auf einige Schwerpunkte fokussiert hat – unter anderem auf Tooling & Prototyping, medizinische Anwendungen (Lynxter bietet ein nach ISO 10993-5 für Hautkontakt zertifiziertes Silikon) sowie Forschung und Entwicklung. Gerade letzterer Bereich ist für Batigne von besonderer Bedeutung, denn „in den Forschungsinstituten wird das Potenzial der Drucker, das oftmals größer als erwartet ist, sichtbar gemacht“.
Gutes Umfeld für Wachstum im AM-Sektor
Mit der bisherigen Strategie konnte Lynxter „konstant ein dreistelliges Wachstum einfahren – im Durchschnitt der vergangenen sechs Jahre 106 Prozent “, erklärt Batigne stolz, „und das, obwohl die französische Industrie in den vergangenen Jahren eher geschrumpft ist. Insofern sind die Bedingungen in der AM-Branche in Frankreich nicht schlecht.“ Darüber hinaus finde auch aufgrund der zahlreichen Ausbildungsmöglichkeiten und Forschungseinrichtungen viel Innovation statt, auch die Kampagne „Choose France“, die sich an ausländische Investoren richtet, sollte die heimische Wirtschaft weiter stärken. „Ich gehe deshalb davon aus, dass für uns auch die nächsten Jahre sehr erfreulich werden.“
Wie stark sich die AM-Branche auch im äußersten Südwesten Frankreichs entwickelt, zeigt sich beim Blick über das von Lynxter reservierte Brachland im Gewerbegebiet von Bayonne. Rechts davon hat das Institute of Technology ESTIA für die Forschungsplattformen Addimadour und Compositadour zwei riesige Hallen gebaut. „Hier ist zufällig so etwas wie ein AM-Cluster entstanden, was uns sehr hilft“, erklärt Batigne. „Wir können gemeinsam Projekte angehen, es gibt auch leichter Finanzierungsunterstützung für gemeinsame Entwicklungsprojekte. Und man spricht einfach die gleiche Sprache.“
Und auch bei der Suche nach zusätzlichem Personal für das weitere Wachstum kann Lynxter nicht nur mit einer spannenden Unternehmensgeschichte und dem Charme, an etwas Besonderem mitzuwirken, überzeugen. „Wir haben tatsächlich einige Kollegen, die aus dem Norden Frankreichs oder aus anderen Regionen zu uns kommen, weil wir hier eine sehr gute Work-Life-Balance und eine sehr attraktive Umgebung bieten können“, so Thomas Batigne. „Die meisten in unserem Team gehen gern surfen – das machen wir oft gemeinsam, und manchmal gehen wir auch in die Berge wandern.“
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