Text: Thomas Masuch. Fotos: Dr. Bowen Jiang — 21.04.2020
Am Neunten Volkskrankenhaus in Shanghai beschäftigt man sich schon
seit rund 20 Jahren mit dem Thema 3D-Druck. Ab 2013 wurde daraus ein
schlagkräftiges Laboratorium entwickelt, das 15 Mitarbeiter (Doktoren
und Ingenieure) beschäftigt und 20 3D-Drucker mit unterschiedlichen
Technologien nutzt.
Die Bandbreite der gefertigten Bauteile ist dabei relativ weit: »Auf unseren SLA-Anlagen produzieren wir Modelle für die Operationsvorbereitung, im SLS-Verfahren entstehen Schablonen, die zum Beispiel beim Schneiden von Knochen eine präzise Fixierung ermöglichen«, erklärt Dr. Bowen Jiang, Geschäftsführer des klinisch-translationalen F&E-Zentrums für 3D-Druck an der Medizinischen Fakultät des Neunten Volkskrankenhauses, das an die Shanghaier Jiao-Tong-Universität angegliedert ist. »Die wichtigste Anwendung für uns ist aber der Metall-3D Druck von Implantaten, zum Beispiel für Knie oder Schultern.« Die individuellen Bauteile aus einer Titanlegierung entstehen auf Metalldruckern im 3D Printing Center – einschließlich SLM- und EBM-Anlagen.
»In unserer Klinik werden die individuellen 3D-gedruckten Implantate hauptsächlich bei Patienten mit sehr komplizierten und großen Knochendefekten eingesetzt, die mit herkömmlichen Standardimplantaten nicht in ausreichender Qualität behandelt werden können«, erklärt Dr. Jiang.
Dr. Jiang und seine Kollegen haben am Neunten Volkskrankenhaus einen Prozess installiert, der die eigenständige additive Produktion der benötigten Prothesen oder Implantate ermöglicht. Das beginnt mit dem CT-Scan, auf dessen Basis ein erstes 3D-Modell entwickelt wird. »Das geschieht bei uns immer in Abstimmung von Ärzten und Ingenieuren«, erklärt Dr. Jiang. »Und erst wenn der Arzt seine Zustimmung gibt, wird das medizinische Bauteil produziert.«
Additive Fertigung in der Medizin ist in Shanghai dabei keine Ausnahme mehr, sondern eine zahlreich angewandte Technologie. Über 100 Implantate werden allein am Neunten Volkskrankenhaus pro Jahr produziert und operiert, außerdem mehr als 200 Prothesen und über 1000 Operationsschablonen.
Die umfangreiche Expertise und Erfahrung vermitteln Dr. Jiang und seine Kollegen auch an andere Krankenhäuser in ganz China. Hier ist 3D-Druck zum Beispiel für Operationsmodelle bereits etabliert. »Wir helfen zum Beispiel anderen Krankenhäusern bei der Additiven Fertigung von Implantaten – das ist oftmals der nächste Schritt.«
Auch Forschung ist ein wichtiges Betätigungsfeld des 3D-Druck-Zentrums, wofür auch ein beträchtlicher Teil der additiven Anlagen im Einsatz ist. »Wir arbeiten gerade an einer neuen Materiallösung für Implantate«, berichtet Dr. Jiang. Auch Bio-Printing steht weit oben auf der Forschungsagenda, auch wenn hier noch ein beträchtlicher Weg bis zur medizinischen Anwendung zu gehen ist. »Das wird sicherlich noch 10 bis 20 Jahre dauern«, schätzt Dr. Jiang. Das Potenzial dieser Technologie ist allerdings immens: Auch in China, mit im internationalen Vergleich relativ kurzen Wartezeiten für Organ-Transplantationen, ist die Warteliste lang. 3D-Druck könnte die Heilungschancen unabhängig von möglichen Spenderorganen deutlich erhöhen.
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- Medizintechnik