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Partnerland Italien – Schräg gedacht

Intensität und das Streben nach Perfektion

Kolumne Schraeg gedacht / von Thomas Masuch — 17.09.2021

Als ich vor vielen Jahren Pozzuoli, wo die römischen Kaiser ihren Sommerurlaub verbrachten, besuchen wollte, stieg ich samt Rucksack in Neapel in einen Regionalzug, der immerhin in die richtige Richtung fuhr, aber doch letztlich einen weiten Bogen um die kleine Stadt am nordwestlichen Ende des Golfs von Neapel machte. Von der Haltestelle im Niemandsland musste ich die restlichen Kilometer zu Fuß zu laufen. Irgendwann hielt ein klappriger und zerbeulter Fiat Panda. Drinnen saß Pino, ein in die Jahre gekommener Fischer. Zerlöchertes Hemd, kurze Hose, ausgetretene Badelatschen. Insgesamt sah er nicht viel besser aus als sein Auto. Wir sprachen über Italien, seine Geschichte, den Süden und ob ich schon wüsste, wo ich übernachte, was ich verneinte.

Illustration: feedbackmedia.de, iStock / Vectorcreator, coolgraphic, kukurikov
Illustration: feedbackmedia.de, iStock / Vectorcreator, coolgraphic, kukurikov

Wir hielten an einer Bar, tranken einen Caffè und fuhren am Strand entlang zum Capo Miseno, einem malerischen Felsen, von dem aus die Inseln Procida und Ischia zum Greifen nahe sind. Hier hielt Pino vor einem der schönsten Hotels der gesamten Gegend. Zu den noblen dunklen Karossen auf dem Parkplatz formte sein Panda einen hübschen Kontrast. „Hier übernachtest du heute“, sagt er und löste bei mir Sorgen um meine Urlaubskasse aus, die eigentlich noch für eine weitere Woche reichen sollte. „Mach dir keine Sorgen, ich kenne den Besitzer“, sagte Pino. Abends kam er zurück, und wir aßen Pasta und feinste Meeresfrüchte in einem Restaurant namens Orangengarten. Bei der Abreise zwei Tage später zahlte ich tatsächlich nur so viel wie für ein B&B.

An Italien fasziniert hat mich immer diese spezielle Mischung aus Offenheit, Gastfreundschaft, Genuss, Improvisation und der Erkenntnis, dass manches nicht so ist, wie es scheint. In keinem anderen Land ist mir eine solche Intensität des Lebens begegnet – bereichert durch ein Streben nach Perfektion, sei es in der Kunst, im Essen oder schlicht darin, das Schöne zu genießen. Oft habe ich mich gefragt, wie man mit dieser Intensität auf Dauer umgeht, ob man sie in seinem täglichen Leben zügeln muss oder ob sie auf anderen Ebenen ausbricht. Eine Antwort darauf gibt der bekannte italienische Rapper Fabri Fibra: Italien ist ein Land voller unvereinbarer Gegensätze. Eine Komposition aus „la bella vita“, großartigen Theatern und Galas, Mode, Mafia, Autos, Waffen und hausgemachter Pasta. Il paese delle mezze verità – das Land der Halbwahrheiten.

Pioniergeist und nervenraubenden Bürokratie

Die hohe Intensität und das Streben nach Perfektion begegnete mir übrigens auch bei vielen Unternehmen in Italien, die oft ein Beispiel von wirtschaftlichem Pioniergeist kombiniert mit einem hohen Maß an Design- und Ingenieurskunst sind. Antipodisch umrahmt wird dies, so der Widerhall einiger Gespräche, von einer undurchsichtigen und nervenraubenden Bürokratie, sodass Unternehmer einen guten Steuerberater als „Zauberer Merlin“ verehren.

Im Gegensatz zu ihrem ausgeprägten Innovationsbewusstsein sind einige italienische AM-Unternehmen im Verhältnis zu ihrem Leistungsvermögen medial deutlich unterrepräsentiert. Denn während manches millionenschwere Start-up, insbesondere aus den USA, permanent in den Fachmedien und anderen Kanälen seine Kreise zieht, noch bevor es überhaupt eine Maschine verkauft hat, sind einige italienische AM-Unternehmen (teils Pioniere in der AM-Produktion) nur in Fachkreisen bekannt.

Nach der Lektüre dieses Magazins hat sich das vielleicht etwas geändert. Einen weiteren Boost für die Bekanntheit der italienischen AM-Industrie wird es sicherlich mit der Formnext 2021 und dem Partnerland Italien geben. Besucher werden hier die ein oder andere positive Überraschung erleben.

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  • Schräg gedacht